4046 FUT Jan Windszus 09062018

Photo: Jan Windszus

Digitale Produktion und Open Source – Die partizipative Architektur der Zukunft

Architektur für alle

Die schlechte Nachricht vorweg: Die Bauindustrie bleibt einer der größten Abfallverursacher der Welt. Allein in der EU gehen etwa 25-30 Prozent aller Abfälle auf ihre Rechnung. Und in einigen EU-Staaten werden davon weniger als 10 Prozent recycelt. Die gute Nachricht direkt hinterher: Ingenieur*innen, Architekt*innen und Designer*innen arbeiten bereits an vielversprechenden Ansätzen, um Gebäude und Städte nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch flexibler und menschenfreundlicher zu machen.

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Gemeinsam gestalten

Ganz vorn dabei sind Konzepte, bei denen Mensch und Maschine sowie Architekt*in und Algorithmus eng zusammenarbeiten. Grundlage dieser Methoden ist oft sogenanntes parametrisches oder generatives Design, mit dem selbst Laien eigene Architekturen entwerfen können. Die Software gibt hier die gestalterischen Rahmenbedingungen vor, während wir bestimmen, welche Form das Ergebnis annehmen soll.

Der Architekt und Yale-Dozent Phil Bernstein sieht hier großes Potenzial: „Architekten, Ingenieure, Designer und Bauträger werden Computer in Zukunft nicht mehr nutzen, um Architektur abzubilden, sondern um Gebäude gemeinsam mit dem Computer zu entwerfen. Wenn Computer uns beim Design- und Bauprozess unterstützen, können wir uns besser auf das Wesentliche konzentrieren. Es wird in Zukunft also weniger darum gehen, Daten zu produzieren, sondern eher darum, Daten zu nutzen und zu manipulieren, um bessere Ergebnisse zu erzielen.“

Mensch trifft Maschine

Auf generatives Design setzen auch zwei der Projekte im Futurium Lab. Die Joyn Machine von Studio Milz lädt Besucher*innen ein, mit wenigen Handgriffen Hocker, Bänke oder ganze Pavillons zu entwerfen, fräsen und zusammenzustecken. Und auch beim Printed Tower ist Teamwork gefragt. Hier können Interessierte per Wink einen Roboterarm steuern, der Keramikmasse in Zukunftsarchitektur verwandelt. „Das Spannende bei diesem Verfahren ist die Skalierbarkeit“, erklärt Caroline Høgsbro vom Printed Tower. „Bei einem solchen 3D-Druck-Verfahren setzt eigentlich nur die Maschine Grenzen. Damit wollen wir Architekten helfen, aus der aktuellen Baukastenlogik von DIN-Standardgrößen und Standardoberflächen auszubrechen.“

Möglich wird dies, laut Høgsbros Kollege Sven Pfeiffer, durch große Sprünge in der Robotik. „Normalerweise führen Industrieroboter automatisierte Arbeitsschritte in geschlossenen Umgebungen durch und sind nicht für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine gemacht.“ Das Printed Tower Team möchte solche Industrieroboter als Assistenten auf Augenhöhe einbeziehen, der uns viele Schritte – vom Design bis zur Produktion vor Ort, erleichtert und abnimmt. Dafür setzen sie einen sogenannten CoBot ein, der extra für die unmittelbare Kooperation zwischen Menschen und Robotern entwickelt wurde „Wir hoffen, dass Roboter auch auf die Baustelle Einzug halten und Architekten viel stärker direkt mit dem Roboter entwerfen.“

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Schicht für Schicht trägt der Roboterarm Material übereinander auf, sodass ein Modell entsteht. Foto: Jan Windszus

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Von Do-it-yourself zu Do-it-together

Solch ein kollaborativer Ansatz ist auch Studio Milz wichtig. „Mit unserer Joyn Maschine können Menschen ohne Vorwissen, eigene Holzstrukturen fertigen. Von Möbeln und Überdachungen bis zu Stützen und Wänden ist eigentlich alles möglich“, erklärt der Architekt Patrick Bedarf. „Da einem die Maschine viele Schritte abnimmt, kann man sich bei der Gestaltung wirklich auf die Architektur konzentrieren und auch relativ schnell Dinge austesten.“

Dabei bringt die Joyn Machine bereits existierende Technologien über eine intelligente Benutzeroberfläche zusammen. „So kann eigentlich jeder Strukturen, Architekturen oder Möbel bauen, die vorher vielleicht gar nicht möglich gewesen wären. Denn allein aus ökonomischen Gründen würden Schreiner*innen viele unserer Designs gar nicht erst in Betracht ziehen, weil diese kleinen Verbindungen und filigranen Strukturen mit klassischen Methoden viel zu aufwendig wären.“

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Mit der kleinen Fräse können ganz einfach Stühle, Regale oder ganze Häuser aus simplen Holzlatten hergestellt werden. Foto: Studio Milz

Garantiert keine Massenware

Traditionelles Handwerk trifft Hightech. Mit digitaler Unterstützung lassen sich bereits bekannte und existierende Materialien, Maschinen und Know-how einfach besser und effizienter nutzen. Vor allem Holz erlebt dadurch ein großes Revival. „Der Werkstoff Holz hat nichts an Aktualität eingebüßt. Er ist klimafreundlicher als Stahl, Aluminium oder Kunststoff, da Pflanzen per Fotosynthese CO2 einlagern“, so Simon Deeg von Studio Milz. „Da moderne, computergestützte CNC-Maschinen wie unsere Joyn Machine sogenannte Mass Customisation ermöglichen, können wir ohne großen Aufwand jedes Teil individuell anfertigen. Das eröffnet neue Horizonte: von kleinen Produkten, die wir aus unserem Alltag kennen, bis hin zu gewerblichen Nutzbauten und Brücken ist eigentlich alles möglich.“

Das Beste beider Welten

Auch Printed Tower schöpft Inspiration und sogar den eigenen Werkstoff aus der Natur. „Porzellan steht bei uns stellvertretend für alle vorstellbaren Erdmaterialien, mit denen man drucken könnte. Es ist ein sehr altes Material, das schon seit etwa zehntausend Jahren verwendet wird und auch sehr gute Eigenschaften hat, was Klima und Wiederverwertbarkeit angeht. Beide Faktoren zusammenzubringen, ist ein sehr lebhaftes Forschungsthema“, bemerkt Sven Pfeiffer. Die Materialeigenschaften dieses nachhaltigen Baustoffs haben es ihm besonders angetan. „Man kann poröse Bauteile drucken, die luftdurchlässig sind oder Feuchtigkeit speichern, um das Raumklima zu regulieren. Selbst Kühlwände werden damit bereits erzeugt. Oder man designt ein Gebäude bewusst für bessere Akustik.“ Caroline Høgsbro spinnt seinen Gedanken weiter: „Was uns extrem antreibt, ist, dass man hochtechnologisiert mit wenig Aufwand, geringem ökologischem Fußabdruck und einem sehr Lowtech-Baustoff wie Lehm ganz neue Geometrien und Räume entwickeln kann. Das Ergebnis ist eine Alt-Neue-Architektur für die ganze Welt.

Restlos glücklich

Diese Konzepte für nachhaltige neue Architektur machen Mut. Doch wohin mit der alten, wenn ihre Lebensdauer abgelaufen ist? Wie lassen sich die bereits erwähnten Massen an Bauschutt vermeiden? Hier setzen Certain Measures mit ihrem CloudFill-Projekt an, um ‚entsorgte’ Architektur besser zu verwerten. „Wir betrachten Gebäude, die abgerissen werden, nicht als Abfall, sondern als Ressource für neue Gebäude oder andere Bauaktivitäten“, so Tobias Nolte von Certain Measures. Sein Kollege Andrew Witt erklärt, wie das Ganze funktioniert. „Wir scannen Abfall von alten, ungenutzten oder abgerissenen Gebäuden ein und nutzen ihn als Rohmaterial für ganz neue Architekturen.”

Dafür analysiert die CloudFill-Software alle eingescannten Teile und erfasst z. B. ihre Form, Farbe und Materialbeschaffenheit. So geht garantiert nichts verloren und kann von der CloudFill-Software dann, je nach Nutzerwünschen, zu ganz neuen Gebäuden zusammengepuzzelt werden. So kann wirklich jedes Teil wiederverwendet werden. Tobias Nolte sieht darin die Zukunft: „Mit unserer CloudFill wollen wir Recycling durch einen digitalen Prozess der Verteilung und Wiederverwendung ersetzen.“

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Weniger ist mehr

Ein weiterer Vorteil automatisierter Architektur ist die effizientere Nutzung von Ressourcen – ganz egal, ob neu produziert, 3D-gedruckt oder clever wiederverwertet. Hierbei lohnt sich auch ein Blick in die Natur, die durch evolutionäre Auslese in vielen Bereichen besonders effizient mit Material und Energie umgeht. Der Architekt und Künstler Philip Beesley orientiert sich bei seinen Bauplänen an der Biomimetik, dem Kopieren erfolgreicher Konzepte aus der Natur, von der Zellteilung bis zu hohlen Vogelknochen. „Wenn man z. B. viele poröse Lagen kombiniert, kann man sehr, sehr starke Strukturen bauen, die deutlich effizienter, leichter und energiesparender sind als klassische Betonbauten.“

Offen für alles

Möglich werden diese neuen Architekturen vor allem über den offenen Austausch von Daten, Ideen und Ressourcen. In CloudFills „Datenbanken der Dinge“ finden ungenutzte Materialien – von ganzen elektronischen Geräten bis zum Brett oder Kupferkabel – einen neuen Verwendungszweck. Aber auch Printed Tower und Joyn Machine möchten wertvolles Know-how global allen Menschen zugänglich machen. Dafür setzen sie gezielt auf Open-Source-Konzepte „Die Joyn Machine ist ein Versuch, Menschen ein Tool zu geben, mit dem sie selbst gestalten und die Zukunft verändern können. Wenn es über die Welt verteilt viele Maschinen gäbe, könnte auch lokal produziert werden. Das heißt, man müsste nicht mehr Material von A nach B um die Welt schicken, sondern im Grunde nur noch das nötige Wissen. Und dann würden Möbelentwürfe und Architektur lokal produziert, was das Ganze noch nachhaltiger macht.“ Dafür muss allerdings schon im Designprozess mitgedacht werden, wie sich die Rohstoffe oder Anforderungen von Ort zu Ort eventuell unterscheiden. Hat der Lehm überall die gleiche Qualität? Welcher Wetterschutz wird in besonders warmen oder kalten Regionen benötigt? Je mehr Menschen aus aller Welt ihr lokales Wissen einbringen, desto besser wird das Ergebnis. Das, ganz nebenbei, eine neue Form der globalen Wirtschaft darstellt.

Ein interessantes Beispiel für „weltweit designen, lokal produzieren“ ist Soforthilfe in Katastrophengebieten. Hier können solche Ansätze als sogenanntes Desaster Design schnelle, unkomplizierte und günstige Hilfe liefern. Immer mehr Architekt*innen machen ihre Entwürfe deshalb frei verfügbar oder nutzen generatives Design, um ihr Talent dort einzusetzen, wo es am nötigsten gebraucht wird.

Mitmachen erwünscht

Auch im größeren Rahmen ist solche Offenheit von Vorteil. Wer selbst einen Beitrag zu Stadtplanung leisten möchte, kann z.B. eine von Thomas Bartoschecks internetfähigen Umweltmessstationen zuhause aufstellen. Mit seinen senseBoxen „können Lücken in der Umweltdatenmessung geschlossen und Veränderungen, wie die des Klimas oder der Feinstaubbelastung, besser beobachtet werden. Wer mitmacht, beschäftigt sich außerdem automatisch mit Umweltthemen und IT und kann aus beiden Bereichen viel lernen.“ Von diesem Citizen-Science-Ansatz, der Bürger*innen gezielt ermutigt, selbst aktiv zu werden, profitieren nicht nur die Beteiligten, sondern auch Forschung, Stadtplanung und Medien, die alle gemessenen Daten frei nutzen können.

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50 senseBoxen messen in Berlin Umweltphänomene wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Feinstaubbelastung und schicken die Daten ins Futurium.

Foto: David von Becker

Designen mit und für Menschen

Ob gedruckte Wandkachel, per Software zusammengepuzzelte Hütte oder nachhaltige Villa nach Maß: Wie viel, oder wie wenig, wir uns dabei von Computern und Maschinen abnehmen lassen, bleibt uns selbst überlassen. „Die Architektur der Zukunft wird viel stärker eine Art offener Prozess sein, in dem Grenzen verschwimmen zwischen Architekten, Nutzern, Ingenieuren und Baufirmen – also allen, die an diesem komplexen Prozess beteiligt sind.

Das heißt, wir werden vielleicht auch stärker eine Art dezentrale Produktion von Architektur erleben, wo vor Ort gebaut wird, wo Architekturbüros auf der Baustelle einziehen, wo es einfach keine Barrieren im heutigen Sinne mehr gibt“, gibt Sven Pfeiffer zu bedenken. „2025 stecken wir hoffentlich mitten in diesem Prozess und bauen Häuser, die höchst individuell sind und keinerlei Norm- oder Formvorgaben entsprechen müssen. Das wäre unser Ziel: eine größere Freiheit.“

Eine Freiheit, die uns neue Möglichkeiten bietet, unsere Zukunft kreativ und nachhaltig mitzugestalten.

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Wie bezieht man möglichst viele Vorstellungen und Forderungen in die Stadtplanung mit ein?

Foto: Daniel Funes Fuentes on Unsplash