Pflanzen wachsen unter Glaskuppeln

Was wäre, wenn …?

The Outside Inside

Wann ist Natur nicht länger „natürlich“? Wie kann Design dazu beitragen, den Menschen nicht als von der Natur getrennt, sondern als Teil der Natur zu verstehen? Ab welchem Punkt wird Biologie zur Technik? Die Designerin und Künstlerin Johanna Schmeer beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit solchen Fragen. Mit ihrer Installation „The Outside Inside“ erforscht sie Beziehungen zwischen Umwelt, Natur und Technik. Ihre kleinen Ökosysteme zeigen Pflanzen, Pilze und Flechten, die besondere Fähigkeiten haben, ihre Umwelt zu verändern.

Foto: Christian Schmeer

Natur im Wandel

Die Natur war schon immer im Wandel, doch das Tempo, mit dem sich Lebensbedingungen oder Klimazonen aktuell verschieben, überfordert viele Ökosysteme. Einige Pflanzen und Tiere sind nicht anpassungsfähig oder widerstandsfähig genug, um diese Veränderungen zu überleben. Gleichzeitig können Lebewesen ihre eigene Umwelt formen und beeinflussen. Ein Ansatz, der auch beim sogenannten Terraforming eine wichtige Rolle spielt. „Das Thema wird zurzeit kontrovers diskutiert“, erklärt Johanna Schmeer, „meistens vor allem im Zusammenhang mit hochtechnologisierten Lösungen. Doch es gibt auch Pflanzen- und Pilzarten, die beim Schutz oder bei der Anpassung heutiger und zukünftiger Ökosysteme an veränderte Umweltbedingungen eine wichtige Rolle spielen könnten“.

Ein neues geologisches Zeitalter

In ihrer Arbeit „The Outside Inside“ nutzt Johanna Schmeer das Thema Terraforming als Beispiel, um Fragen aufzuwerfen, die durch eine immer stärkere Verflechtung von Umwelt, Natur und Technik entstehen. „Durch menschliche Aktivitäten und Technologien wurde die Erde bereits so stark verändert, dass ein neues geologisches Zeitalter entstanden ist. Sollen deshalb Maßnahmen ergriffen werden, um Ökologien, Umgebungen und Landschaften bewusst anzupassen und zu gestalten? Und wenn ja, wie werden die Entscheidungen dazu getroffen und wer entscheidet? Wie können Formen der Kollaboration mit ‚Natur’ entstehen, die heutige unnachhaltige Praktiken der Verwertung und Nutzung von Natur als Rohstoff ersetzen?“

Bitte einen Moment Geduld. Das Video wird geladen.

Ein Sprung ins Jahr 2100

In dem futuristischen, mit Sensoren ausgestatteten Garten der Installation gedeihen Pflanzen, Pilze und Flechten in neun Terrarien, die mögliche Klimabedingungen des Jahres 2100 simulieren. Im ersten Terrarium verdeutlichen Amaranth-Pflanzen, wie das Prinzip des Terraformings funktioniert. Sie wachsen auch auf trockenen, salzigen Böden und können dort CO₂ binden. Das zweite kleine Ökosystem simuliert den Einsatz von Flechten zum Schutz arktischer Permafrostböden. Die Flechten reflektieren das Licht und kühlen so den darunterliegenden Boden, um das Freisetzen von Methan zu verhindern. Im dritten Bereich nehmen Austernpilze Schwermetalle und andere Schadstoffe auf. Anschließend können andere Lebewesen auf diesem Boden besser überleben.

Kommunikation der anderen Art

Bitte einen Moment Geduld. Das Bild wird geladen.

Johanna Schmeer: The Outside Inside. Die Terrarien zeigen mögliche Zukunftsszenarien anhand kleiner Ökosysteme des Jahres 2100.

Foto: Christian Schmeer

Die Sensoren in den Terrarien messen Werte wie Methan, Kohlendioxid, elektrische Kapazität und flüchtige organische Verbindungen. Die Aktivitäten der Pflanzen, Pilze und Flechten können so genau beobachtet werden. Sie werden durch eine Software von Sound-Artist Sam Conran in binaurale Töne verwandelt – Töne, die bewirken, dass im Gehirn entspannende Frequenzen entstehen. Über Kopfhörer können wir diese „Sprache“ der Pflanzen, Pilze und Flechten hören und eine direkte Verbindung mit ihnen eingehen. „Technologie wird in der Installation nicht nur genutzt, um Umweltbedingungen zu simulieren, sondern auch, um neue Verbindungen und eine Kommunikation zwischen Menschen und Nicht-Menschen zu ermöglichen. Durch die Wirkung der binauralen Töne können die Pflanzen, Pilze und Flechten in gewisser Weise Kontrolle über das Gehirn des Zuhörers erlangen“, ergänzt die Designerin.

Essbare Zukunft

In einer Kühlvitrine neben der Installation befinden sich essbare Amaranth-Blüten, die aus der Installation geerntet wurden. Die Blüten sind ebenfalls unter potenziellen Umweltbedingungen des Jahres 2100 gewachsen und erlauben den Besucher*innen dadurch, eine mögliche Zukunft zu „schmecken“. Durch den höheren CO₂-Gehalt der Luft und den salzigen Boden haben diese Blüten einen veränderten Nährstoffgehalt. Hier kann man selbst probieren, wie die Zukunft unsere Körper beeinflussen könnte.

Natur-Technik Hybride

Der begleitende spekulative Film entstand gemeinsam mit der Designerin und Künstlerin Anna-Luise Lorenz. Hier überfliegt eine Drohne Landschaften, die in Zusammenhang mit den in der Installation simulierten Umweltbedingungen stehen. Wir sehen eine heiße, trockene Gegend an einem Salzsee, frostige Böden und eine Region mit besonders eisen- und kupferhaltiger Erde. Die Drohne analysiert Landschaften und sucht nach neuen Lebensräumen für Pilze, Flechten und Pflanzen der
Installation. Der Film wirft die Frage auf, ob Hybride aus Technik und Ökosystemen, die ohne direkte Intervention des Menschen arbeiten, sinnvoll oder wünschenswert sein könnten.

Spekulieren lohnt sich

Spekulationen über mögliche Zukünfte gibt es nicht nur im Bereich Design. Viele Wissenschaftler*innen, aber auch Autor*innen wagen den Blick in alternative Zukünfte, um Fragestellungen und Lösungen für aktuelle und kommende Herausforderungen auszuloten. Zunehmend werden solche Prozesse auch partizipativ gestaltet, so wie in den Workshops, die „The Outside Inside“ begleiteten. Denn die Zukunft ist nicht festgelegt – sie lässt sich durch unsere heutigen Ideen und Handlungen formen.