Token Anthropozaen Tagebau Herbert Aust Pixabay

Foto: Herbert Aust auf Pixabay

Denkraum Natur

Willkommen im Anthropozän!

Wolkenkratzer ragen Hunderte Meter in den Himmel, Millionen von Glaskieseln formen einen künstlichen Strand, riesige Gewächshäuser bedecken die Landschaften. Rund um den Globus zeigt sich, wie wir die Erde für immer verändern. Was noch dafür spricht, dass das Zeitalter des Menschen begonnen hat, liest du hier.

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Wir leben im Anthropozän – im Erdzeitalter des Menschen. Mit dieser These sorgt 2000 der niederländische Chemiker und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen für Aufsehen. Der Begriff geht auf das griechische Wort für „Mensch“ (Anthropos) zurück. Crutzens Annahme, die der US-amerikanische Biologe Eugene F. Stoermer bekräftigt: Das Anthropozän löst das aktuelle Erdzeitalter – das Holozän oder auch Nacheiszeitalter – ab. War im Holozän noch die Natur allmächtig, beeinflusst im Anthropozän vor allem der Mensch die Erdentwicklung.[1] Seine Hinterlassenschaften wie radioaktive Strahlung, Plastik oder Betonreste lagern sich in den Sedimenten ab.

Klimawandel stärkt These vom neuen Erdzeitalter

Crutzens Theorie sorgt für wissenschaftliche Debatten.[2] Soll tatsächlich ein neues Erdzeitalter eingeführt werden? Nein, sagt etwa der Geologe Manfred Menning vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), bis 2015 Vorsitzender der Deutschen Stratigraphischen Kommission (DSK). Der Begriff Anthropozän bringe für geologische Arbeiten „rein gar nichts", sei deshalb in der Geologie entbehrlich, sagt er dem Handelsblatt.[3]

Reinhold Leinfelder, Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin, Mitglied der Anthropozän-Arbeitsgruppe der International Commission on Stratigraphy (ICS) und von 2014 bis 2016 Gründungsdirektor des Futuriums, spricht sich dagegen für das Anthropozän aus. Die Menschheit sei eine Naturgewalt, so Leinfelder in der Neuen Zürcher Zeitung, daraus resultiere Verantwortung. Er plädiert dafür, ein neues Bewusstsein zu entwickeln für die Auswirkungen des menschlichen Handelns: „Es liegt an uns, ob das Anthropozän zu neuen Verteilungskämpfen, Kriegen und Umweltkatastrophen unvorstellbaren Ausmasses führt oder in eine neue Ära der Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit." [4]

Auch der Beginn des möglichen neuen Erdzeitalters sorgt für Diskussionen. Wissenschaftler*innen des University College London und der University of Leeds wollen mit ihrer Studie beweisen, dass das Erdzeitalter des Menschen mit der Eroberung Amerikas seinen Anfang nimmt. [5] Ihre Theorie: Das Massensterben der amerikanischen Bevölkerung nach der europäischen Invasion könnte die Kleine Eiszeit ausgelöst haben, die vom 16. Jahrhundert und bis Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte. Weil in diesem Zeitraum kaum noch Landwirtschaft betrieben wurde und sich die Wälder ausbreiteten, verringerte sich der CO₂-Ausstoß - und die Temperaturen sanken deutlich ab. Für andere Forscher*innen beginnt das Anthropozän erst mit der Erfindung der Dampfmaschine oder mit dem Nuklearzeitalter.

Einig sind sich die Wissenschaftler*innen darüber, dass die menschlichen Eingriffe vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Erde prägen. Viele Veränderungen werden noch in Millionen von Jahren sichtbar sein. Um diese Entwicklung einzudämmen, ist es jedoch nicht zu spät.

Fünf Gründe, warum wir uns im Anthropozän befinden:

1. Die Erde erwärmt sich – schneller denn je

Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Mensch in Prozesse auf der Erde eingreift, ist der Klimawandel. Auslöser ist die Erderwärmung, die sich schneller vollzieht als jemals zuvor. Mit der industriellen Revolution nahm sie Fahrt auf: Von 1850 bis heute stieg die globale Durchschnittstemperatur um etwa ein Grad Celsius an.[6]

Der Grund für die Erderwärmung ist menschengemacht: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verbrennt der Mensch verstärkt fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdöl oder -gas, um Energie und Treibstoff zu erzeugen. Dabei wird CO₂ freigesetzt. Gibt es zu viel CO₂ in der Atmosphäre, heizt sich die Erde wie unter einer Wärmeglocke auf.

Eine Folge: Das Wetter auf der Erde wird extremer, auf lange Sicht verändert sich unser Klima. Trockene Regionen leiden dann zunehmend unter langanhaltenden Dürren, wasserreiche Gebieten müssen künftig mit immer heftigeren Niederschlägen und Überschwemmungen rechnen. Eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten rund um den Globus bereits abzeichnet.

2. Die Erderwärmung lässt den Meeresspiegel steigen

Die Erde erwärmt sich – und mit ihr die Meere. Polkappen schmelzen, Gletscher und Eisschilde schrumpfen rund um den Globus. Eine Analyse[7] zeigt: Das schmelzende antarktische Eisschild lässt den Meeresspiegel derzeit mehr ansteigen als jemals zuvor in den letzten 25 Jahren. Mit verheerenden Folgen für Ozeane und Küstenregionen, die sich gravierend verändern könnten.

Der aktuelle Sonderbericht[8] zu Ozeanen und Eisschilden des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) prognostiziert: Verursacht die Menschheit weiter gigantische Mengen an Treibhausgasen, ist der Anstieg des Meeresspiegels von 0,61 bis 1,10 Meter wahrscheinlich. Laut einer aktuellen US-amerikanischen Studie[9] könnten viel mehr Menschen vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein, als bisher angenommen. Benjamin Strauss, einer der Autoren der Studien, sagte im Deutschlandfunk, dass Mitte des Jahrhunderts 450 Millionen Küstenbewohner*innen unterhalb der Hochwasser-Linie leben könnten.[10]

Wird diese Entwicklung Wirklichkeit, werden schon im Laufe dieses Jahrhunderts viele Küstenregionen unbewohnbar. Ein weiteres Problem, das dann auf die Küstenbewohner*innen zukommen könnte: Mit dem Meeresspiegel steigt auch der Grundwasserspiegel. Böden verwässern, Grundwasser versalzt, weil Meerwasser in die Reservoirs eindringt. Zudem geraten ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht, weil sich die Lebensräume an der Küste für Tiere und Pflanzen stark verändern - oder ganz verschwinden, wie etwa das Wattenmeer.

Wie sich das arktische Meereis verändert, siehst Du hier in einer Animation der NASA.

3. Immer mehr Arten sterben aus

Der Mensch gefährdet die Artenvielfalt rund um den Globus. Regenwälder werden abgeholzt, Industrie und Landwirtschaft verseuchen Gewässer und Böden, massiver Fischfang bedroht natürliche Ökosysteme. Auch der Klimawandel wirkt sich auf die Biotope aus, die vor großen Veränderungen stehen. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) sagt ein generelles Artensterben im großen Stil voraus – wenn die Temperaturen auf der Erde weiter ansteigen: Eine Million Arten könnten laut UNO-Bericht 2019 in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aussterben.[11]

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Der Zustand der Ökosysteme und die biologische Vielfalt verschlechtern sich rasch. Für das Global Assessment" des Weltbiodiversitätsrates IPBES wurden mehr als 15.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen analysiert und sogar Kenntnisse indigener Völker berücksichtigt.

Ein weiteres Indiz dafür, dass wir uns im Anthropozän befinden: Noch in Millionen von Jahren wird sich nachweisen lassen, dass sich Arten weltweit durch den Menschen verbreitet haben. Die neuen Arten - zum Beispiel der Waschbär - siedeln sich außerhalb ihres ursprünglichen Lebensraums an und verdrängen in ihrer neuen Heimat andere Tiere. Allein in Deutschland lebten laut World Wide Fund for Nature (WWF) 2014 etwa 1150 nicht heimische Tiere – sowie 12.000 nicht heimische Pflanzenarten.[12] Über 860 von ihnen haben sich fest etabliert und verknappen den Lebensraum für die einheimische Flora und Fauna.

Ebenfalls im Wandel ist der Lebensraum Meer. Die Ozeane binden einen Großteil der Wärme, die durch den menschengemachten Treibhauseffekt entsteht. Zudem nehmen die Meere rund ein Drittel des CO2 aus der Erdatmosphäre auf, das sich vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger bildet:[13] Es kommt zu chemischen Reaktionen, die die Konzentration der Kohlenstoffverbindungen im Wasser ansteigen lassen. Auch der Säuregehalt des Meerwassers erhöht sich dadurch leicht (mehr über diesen Prozess liest Du hier).

Die „Versauerung" der Meere bringt Meeresbewohner wie beispielsweise die Korallen des australischen Great Barrier Reef bereits heute in Gefahr. Ihre Kalkschale löst sich im leicht sauren Wasser auf, ebenso wie die Kalkskelette vieler tierischer Plankton-Arten. Diese fallen auf lange Sicht als Nahrungsquelle aus - und das gesamte Ökosystem Meer leidet. [14]

4. Menschenräume lösen Naturräume ab

Luftaufnahmen der Erde verdeutlichen es auf eindrucksvolle Weise: Der Mensch greift in natürliche Landschaften ein. Wissenschaftler*innen sagen, er sei zum geologischen Faktor geworden. Rund 75 Prozent der bewohnbaren Erdoberfläche sind nach Ansicht des US-amerikanischen Umweltwissenschaftlers Erle C. Ellis vom Menschen geformte Natur – sogenannte Anthrome.[15] Der Begriff setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort „anthropogen" (vom Menschen beeinflusst) und Biom, der Bezeichnung bisheriger Lebensräume. Nur noch knapp ein Viertel der Erdoberfläche sind unberührte Natur.

Eine Studie, veröffentlicht vom Fachmagazin Science[16], illustriert den schleichenden Verlust der Wildnis: Zwischen 2001 und 2015 wurden rund um den Globus mehr als drei Millionen Quadratkilometer Wald gerodet. Eine Fläche, die über acht Mal so groß ist wie Deutschland. 25 Prozent dieser ehemaligen Waldlandschaft sind unwiederbringlich verloren.

Denn ein Großteil der Waldflächen weicht urbanen Ballungsräumen. Oder wird für die Landwirtschaft genutzt, um immer mehr Menschen zu ernähren. Die Folge: Wind oder Wasser tragen zunehmend Böden ab. Auch Flussregulierungen wie Begradigungen oder Staudämme verändern ganze Landschaften und Biotope. Steinbrüche, Bergbaustollen, urbane Tunnel- und Rohrsysteme sowie Straßennetze prägen die Erde für immer – und drücken ihr unseren Stempel auf.

5. Wir leben im Technotop

Geschätzte 30 Billionen Tonnen bringt alles das auf die Waage, was der Mensch und seine Maschinen hergestellt haben – vom Smartphone bis zur Atommülldeponie. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie[17]. Nach Berechnungen des Forschungsteams belastet diese sogenannte Technosphäre unseren Planeten mit 50 Kilogramm pro Quadratmeter Erdoberfläche.

Viele der „Technofossilien“ würden in Zukunft dazu dienen, das Anthropozän zu datieren und zu charakterisieren, so die Wissenschaftler*innen. Denn neue, vom Menschen hergestellte Materialien wie Beton, Flugasche oder Kunststoffe – zum Beispiel als Mikropartikel in den Meeren – werden auch in Millionen von Jahren als Technofossilien vom Anthropozän zeugen.

Der Grund: Anders als die meisten biologischen Relikte sind viele von ihnen nicht abbaubar. Sie setzen sich ab und können in den Erdschichten als winzige Teilchen nachgewiesen werden. Auch radioaktiver Staub aus vergangenen und künftigen Atomtests wird dort zu finden sein. Einige Forscher*innen plädieren daher dafür, das Anthropozän mit dem ersten Atombombentest am 16. Juli 1945 beginnen zu lassen.

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Geolog*innen haben das Gewicht der „Technosphäre“ nachgerechnet: 30 Billionen Tonnen.

Grafik: Polygraph Design

Wie geht es weiter?

Wie aber geht es weiter im Zeitalter des Menschen? Wollen wir die Erde auch in Zukunft weiter zerstören, wie wir es derzeit tun – und wie ernst nehmen wir die Verantwortung für unseren Planeten? Wissenschaftler*innen deuten das Anthropozän ganz unterschiedlich und entwickeln auf dieser Basis verschiedene Strategien für den künftigen Umgang mit der sich wandelnden Erde (mehr zu den einzelnen Deutungen liest du hier). Wird es darum gehen, bisherige Einwirkungen auf Landschaften zurückzunehmen, wo es möglich ist? Sollen dafür sogar technische Eingriffe in die Natur intensiviert werden? Oder gilt es in erster Linie, Konzepte zu entwickeln für den Erhalt der noch verbliebenen natürlichen Landschaften und gegen den Klimawandel? Wie auch immer das Anthropozän künftig aussehen wird: Die Botschaft, Verantwortung für den Erhalt unseres Planeten zu übernehmen, ist angekommen.


Quellen und Literaturangaben

[1] https://www.nature.com/articles/415023a
[2] http://www.klimaretter.info/forschung/hintergrund/18455-crutzen-qwir-brauchen-wieder-oekologieq
[3] https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/anthropozaen-wann-begann-das-zeitalter-des-menschen-eigentlich/12837570-2.html?ticket=ST-29329672-HdsbD2dAq4h3poMdsart-ap5
[4] https://www.nzz.ch/wochenende/anthropozaen/wir-kommen-nicht-zurueck-ins-holozaen-ld.1509967
[5] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277379118307261#!
[6] https://www.ncdc.noaa.gov/sotc/global/201908
[7] https://www.nature.com/articles/s41586-018-0179-y
[8] https://www.ipcc.ch/srocc/home/
[9] https://www.nature.com/articles/s41467-019-12808-z
[10] https://www.deutschlandfunk.de/steigender-meeresspiegel-viel-mehr-menschen-bedroht-als.676.de.html?dram:article_id=462262
[11] https://www.ufz.de/export/data/2/228053_IPBES-Factsheet_2-Auflage.pdf
[12]https://www.wwf.de/themen-projekte/biologische-vielfalt/invasive-arten-gefahren-der-biologischen-einwanderung/
[13] https://science.sciencemag.org/content/363/6432/1193
[14] https://www.br.de/klimawandel/ozeane-weltmeere-erwaermung-co2-klimawandel-100.html
[15] Vgl. Ellis, E. C., Ramankutty, N.: Putting People in the Map: Anthropogenic Biomes of the World, in: Frontiers in Ecology and the Environment 6/2008, S. 439–447, hier S. 445.
[16] https://science.sciencemag.org/content/361/6407/1108
[17] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/2053019616677743