Michael Schönwald [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]
Warum Balkon-Stiefmütterchen zum Verlust der Biodiversität führen
Wir brauchen mehr Moor
Forscher*innen haben eine Inventur der Natur gemacht. Das Ergebnis des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) ist beunruhigend: Eine Million der insgesamt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten ist vom Aussterben bedroht, Ökosysteme stehen vor dem Kollaps – auch in Deutschland. So sind noch intakte Hochmoore von vollständiger Vernichtung bedroht. Mit Folgen für das Leben auf der Erde. Verantwortlich für die Entwicklung ist unsere Gesellschaft. Doch noch kann gehandelt werden.
Michael Schönwald [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]
Wie schlecht ist es um die biologische Vielfalt der Erde bestellt?
Klare Antwort: schlecht. „Der Schwund der Arten ist dramatisch“, sagt Dr. Jens Jetzkowitz. Der Soziologe ist Mitarbeiter am Naturkundemuseum in Berlin und einer der Mitautoren des IPBES-Berichts. „Wir stehen vor einem Massensterben oder befinden uns sogar bereits darin.“ Die Ausmaße seien vergleichbar mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren.
Der Schwund der Arten ist dramatisch.
Warum ist biologische Vielfalt so wichtig?
Biodiversität beschreibt die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Dazu gehören nicht nur die Tiere und Pflanzen, die wir sehen können, sondern auch Bakterien, Pilze und andere Arten. Mehr noch: Es schließt die Vielfalt ihrer Gene ein und die Vielfalt der Ökosysteme wie Moore, Regenwälder oder Korallenriffe wie das australische Great Barrier Reef. Es gilt: je mehr Vielfalt, desto besser. Existieren möglichst viele unterschiedliche Versionen von Genkombinationen in einer Population, ist diese flexibler und etwa vor Krankheiten besser geschützt. Durch ihr Überleben kann die Natur dem Menschen zuverlässiger Dienstleister sein.
Wie sehen solche Natur-Dienstleistungen aus?
Die Natur liefert Güter und Leistungen, die die Grundlage für das menschliche Wohlbefinden darstellen: Nahrungsmittel, Trinkwasser, Brennstoffe und Arzneimittel, Schutz vor Überschwemmungen und Bodenerosion sowie Klimaregulation oder Kohlenstoffspeicherung werden als Ökosystemdienstleistungen verstanden, die dem Menschen von der Natur bereitgestellt werden. Jetzkowitz: „Diese Leistung als Voraussetzung unseres gesellschaftlichen Lebens und Wirtschaftens müssen wir anerkennen.“ Zu den Dienstleistern zählen auch Moore wie es sie im Norden Deutschlands und dem Alpenvorland gibt.
Moore bieten Lebensraum für viele selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten. Torfkörper können riesige Mengen Kohlenstoff speichern.
Warum sind Moore so wichtig?
Moore sind ein einzigartiger Lebensraum und mächtiger Kohlenstoffspeicher. „Sie machen nur drei Prozent der Landfläche aus, speichern aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen“, erklärt Dr. Sandra Balzer, Leiterin des Fachgebiets Zoologischer Artenschutz beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn. Zugleich sind Moore Lebensraum für viele selten gewordenen Tier- und Pflanzenarten, die sich auf ein Leben in dieser besonderen Umgebung spezialisiert haben.
Was passiert, wenn die Moore verschwinden?
Laut Balzer sind die intakten Hochmoore in Deutschland auf nur noch einem Prozent ihrer ursprünglichen Fläche vorhanden. Um neue nutzbare Fläche für die Landwirtschaft zu erhalten, wurden sie trockengelegt und damit zu regelrechten Kohlendioxidschleudern. Wird einem Moor das Wasser entzogen, gelangt Luft in den Torfkörper und der Torf zersetzt sich. Das Moor kann kein Wasser mehr speichern oder zurückhalten, das Treibhausgas Kohlenstoff wird nach und nach in großen Mengen freigesetzt. Die absurde Folge: Das Klima wird nun stark geschädigt. Aber auch die speziellen Moor-Bewohner wie die Arktische Smaragdlibelle oder der Rundblättrige Sonnentau verlieren ihren Lebensraum. Beide finden sich mittlerweile auf der Roten Liste des Bundesamtes für Naturschutz wieder.
Der Rundblättrige Sonnentau ist vom Aussterben bedroht und steht auf der Roten Liste des Bundesamtes für Naturschutz.
Wie lässt sich das Moor-Sterben aufhalten?
Die Empfehlungen des IPBES-Berichts gegen das allgemeine Artensterben sind vor allem auf politische Entscheidungsträger ausgerichtet. Dazu zählen nachhaltige landwirtschaftliche Methoden. „In Deutschland muss sich die Landwirtschaft ändern“, fordert Jetzkowitz. Laut Bundesamt für Naturschutz ist die Landwirtschaft mit einem Flächenanteil von mehr als 50 Prozent bundesweit der größte Flächennutzer. „Wir müssen weg von der Masse hin zu ökologischer Qualität. Da ist die Politik gefragt.“ Und das kommt auch den Mooren zugute, denn laut IPBES-Bericht sind seit dem 17. Jahrhundert weltweit 85 Prozent der Feuchtgebiete verloren gegangen, der Verlust schreitet etwa drei Mal so schnell voran wie der Verlust an Waldfläche. Dabei können Moor-Ökosysteme renaturiert werden. Sie lassen sich nach Entwässerung teilweise wieder in einen naturnahen oder natürlichen Zustand bringen. Langsam kehren Flora und Fauna zurück.
Und was kann jeder Einzelne tun?
Jetzkowitz warnt ganz konkret vor dem Kauf günstiger Blumenerde: „Wer hier im Baumarkt günstige Erde kauft, riskiert die Zerstörung von Hochmooren vor allem im Baltikum.“ Der enthalte Torf, der vornehmlich aus Hochmooren abgebaut wurde. „Nur damit wir Stiefmütterchen auf den Balkon stellen können“, so Jetzkowitz. Denn obwohl viele Moor-Ökosysteme in Deutschland bereits unter Naturschutz stehen, gibt es dort noch alte Torf-Abbaurechte, sagt Balzer. Damit das Hochmoor als Ökosystem intakt bleibe, dürfe es nicht gestört werden. „Und das bedeutet, dass es anders als andere Naturschutzgebiete gar nicht erst betreten werden sollte.“ Jetzkowitz hält persönliches Engagement für den generellen Erhalt der biologischen Vielfalt für ebenso wichtig – in politischen Parteien, Naturschutzvereinen oder auch bei Transparency International. Im IPBES-Bericht gehe es nämlich nicht nur um die unmittelbaren Ursachen, sondern auch um indirekte Treiber von Artenverlust wie etwa Macht- und
Finanzierungsstrukturen. Jens Jetzkowitz: „Wenn Deutschland und Europa mehr Transparenz über den Einfluss von Lobbyisten herstellen würden, wäre viel erreicht.“
Sandra Balzer (links) ist Leiterin des Fachgebiets Zoologischer Artenschutz beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn. Der Soziologe Dr. Jens Jetzkowitz (rechts, Foto: Carola Radke) ist Mitarbeiter am Naturkundemuseum in Berlin und einer der Mitautoren des IPBES-Berichts.
Titelbild: Das Hochmoor im Nationalpark Harz kurz vor Sonnenaufgang. Foto: Michael Schönwald [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]