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CLICCS erforscht, welche Faktoren eine realistische Klimazukunft möglich machen

Wie plausibel ist die Klimawende?

Wie verändert das Klima unsere Gesellschaft – und wie prägt die Gesellschaft wiederum das Klima? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS) an der Universität Hamburg. Das Forschungsteam untersucht, welche gesellschaftlichen Entwicklungen nötig sind, um den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu verringern und sich gleichzeitig nachhaltig an den Klimawandel anzupassen.

„Die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels sind weitgehend klar, doch um die Voraussetzungen für die Klimawende zu verstehen, braucht es ein umfassendes Bild“, sagt Anita Engels, Professorin für Soziologie im Exzellenzcluster. Entsprechend verbinden die Forschenden Klimaberechnungen mit Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Dabei kommt heraus: „Möglich ist vieles. Aber plausibel ist nicht alles.“

Was ist realistisch zu erwarten?

Mögliche und plausible Entwicklungen machen den Unterschied bei der Frage, welche Klimazukünfte uns bevorstehen könnten. Hier unterscheidet das Team von CLICCS: Mögliche Zukünfte sind theoretisch denkbar – plausible dagegen ergeben sich aus den heutigen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. „Wir übersetzen das gern als: Was ist realistisch zu erwarten?“, sagt Engels.

CLICCS hat dafür zehn gesellschaftliche Schlüsselprozesse analysiert – etwa Klimapolitik, Konsumtrends, Unternehmensstrategien, Finanzflüsse, soziale Bewegungen und Klimaklagen. Auf Basis dieser Analysen liefert der Hamburg Climate Futures Outlook 2024 – geschrieben von über 70 Forschenden – eine nüchterne Einschätzung: Eine vollständige Abkehr von fossilen Energien bis 2050 ist derzeit nicht plausibel. Wie Engels es zusammenfasst: „Nach allem, was wir über gesellschaftlichen Wandel wissen und empirisch beobachten, ist es nicht realistisch zu erwarten, dass die Pariser Klimaziele erreicht werden.“

Gesellschaftliche Schlüsselprozesse als Grundlagen für den Wandel

Einige Schlüsselprozesse unterstützen den Wandel (zum Beispiel transnationale Zusammenarbeit, Klimaklagen, soziale Bewegungen und Wissensproduktion), doch keiner allein reicht aus. Drei wichtige Faktoren – Konsumverhalten, Unternehmensstrategien und der zuletzt schwächer gewordene Trend des Divestment (Abzug von Kapital aus fossilen Branchen) – wirken aktuell eher als Bremse auf eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050.

Um einzuschätzen, wie realistisch eine tiefe Dekarbonisierung ist, untersucht CLICCS gesellschaftliche Schlüsselprozesse im Detail.

„Noch vor ein paar Jahren sah es aus, als würde das Divestment wirklich an Fahrt aufnehmen. Aber inzwischen machen viele Investor*innen wieder einen Rückzieher“, erklärt Engels. „Große Unternehmen sagen ganz offen: Mit fossilen Energien machen wir die höchsten Profite. Warum sollten wir das ändern?“

Wirtschaft und Politik im Wandel

Ein zentrales Ergebnis der Forschung: Wirtschaftliche Strukturen und politische Rahmenbedingungen verändern sich nur langsam.

Anita Engels ist Professorin für Soziologie, insbesondere Globalisierung, Umwelt und Gesellschaft, an der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Rolle von Unternehmen im Klimawandel und die lokale Governance-Ebene, einschließlich Real World Labs und der Beteiligung der Öffentlichkeit und von Interessengruppen.

Foto: S. Engels

„Produktion, Konsum und Finanzierung sind stark auf Wachstum und fossile Energien ausgerichtet“, sagt Engels. Unternehmen reagierten meist auf klare und verlässliche Gesetze – doch diese Stabilität fehle häufig. „Damit fehlt auch das Vertrauen, dass Klimaschutz langfristig wirklich zählt.“ Konsum sei gesellschaftlich abgesichert: Wer kaufen kann, darf konsumieren. „Deshalb müsste sich vor allem die Produktgestaltung ändern: langlebiger, klimafreundlicher, weniger abhängig von fossilen Energien.“

Zwar entstehen durch neue Gesetze, Gerichtsentscheidungen oder Klimaproteste immer wieder Impulse. Doch insgesamt bleibt der Wandel zu schwach, um die nötige große Transformation auszulösen.

Beteiligung und Klima-Aktivismus unter Druck

Entscheidend für eine erfolgreiche Klimawende ist aber die Beteiligung der Gesellschaft – doch genau diese steht zunehmend unter Druck. „Klimabewegungen, die mit ihrem Engagement eigentlich helfen, politischen Druck für mehr Klimaschutz aufzubauen, geraten selbst immer stärker in Bedrängnis“, erklärt Engels. „Manche Aktivist*innen werden kriminalisiert, in anderen Ländern sogar bedroht oder getötet.“

Die Wissenschaftler*innen beobachten, dass Klimaschutz in Deutschland insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene umgesetzt wird. „Deshalb ist es wichtig, Bürger*innen aktiv einzubeziehen. Wenn in einem Stadtteil klimafreundliche Mobilität gefördert oder neu gestaltet werden soll, bedeutet das oft tiefgreifende Veränderungen. Eine Regierung kann solche Maßnahmen nicht einfach von oben verordnen.“ Es brauche Verfahren, mit denen man neue Ansätze zunächst im Kleinen – etwa straßenweise – erprobt, und bei denen die Menschen vor Ort in bedeutender Weise beteiligt werden.