Foto: Futurium
Bioinspiriertes Design
Vom Kiefernzapfen zur Gebäudefassade
Im Futurium zeigt ein Modell, welches Prinzip sich manche Pflanzen zunutze machen, um ihre Samen zu verteilen: Was hinter dem Exponat „Selbstbewegende Materialien“ steckt und wie die Natur Wissenschaftler*innen und Entwickler*innen inspirieren kann, erklärt Dr. Michaela Eder vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG).
Foto: Futurium
Tagtäglich benutzen wir eine Vielzahl von Dingen – ob Smartphone oder Zahnbürste – und nur selten machen wir uns darüber Gedanken, woraus die Gegenstände um uns herum gefertigt sind. Wie kann die Natur bei der Entwicklung neuer Produkte helfen?
Michaela Eder: Materialien sollten in Zukunft komplett neu gedacht werden, insbesondere in Hinblick auf Ressourcenverbrauch und -nutzung. Es wäre zum Beispiel spannend, wenn Materialien selbstständiger sind und einfache Aufgaben ohne Computersteuerung und den Einsatz von elektrischer Energie übernehmen könnten. Die Natur kann dabei Vorbild und Inspiration sein. Es geht jedoch nicht darum, sie 1:1 zu kopieren, sondern bestimmte Aspekte eines biologischen Vorbilds herauszugreifen und diese umzusetzen oder weiterzuentwickeln.
In dem Exponat „Selbstbewegende Materialien“, das Sie für das Futurium entwickelt haben, bewegen sich Lamellen aus Holz und Metall per Knopfdruck – scheinbar wie von Zauberhand. Wie funktioniert das?
Eder: Es funktioniert nach dem sogenannten Bilayer-Prinzip, das in der Natur weit verbreitet ist. Die äußere Schicht der Lamellen besteht aus dünnem Holzfurnier und biegt sich bei höherer Luftfeuchtigkeit in eine bestimmte Richtung, da sich das Material ausdehnt. Bei niedriger Luftfeuchte geht die Bewegung in die andere Richtung, weil das Holz trocknet und schrumpft. Die zweite, innere Schicht besteht aus dem Metall Aluminium. Sie folgt der Bewegung des Holzes – und die Lamellen des Exponats verbiegen sich. Gebaut wurde es von dem Architekturstudenten Alexandros Ioannou.
Warum dient die Pflanze Banksia, die in Australien zu Hause ist, als Vorbild für das Exponat?
Eder: Das Bilayer-Prinzip lässt sich auch bei unseren heimischen Kiefernzapfen beobachten. Das Besondere an unserem Exponat ist, dass Hitze als zusätzlicher Trigger zum Einsatz kommt. Durch die Wärme der Lampe sinkt die Luftfeuchtigkeit schneller. So funktioniert die Bewegung in etwa 90 Sekunden. Auch bei der australischen Banksia braucht es eine gewisse Temperatur und Luftfeuchtigkeit, damit sich ihre Samenkapseln öffnen. Sie funktionieren wie kleine robotische Sensoren ohne Stoffwechsel, deren Funktionalität im Material eincodiert ist.
Ich fand sehr spannend, wie Pflanzen mit Extrembedingungen klarkommen. Schließlich können sie ja nicht weglaufen.
Dr. Michaela Eder forscht zum Einfluss der Umwelt auf die Eigenschaften und Funktionen von Pflanzenmaterialien am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung.
Wie kam es dazu, dass Sie an der Banksia geforscht haben?
Eder: Ich fand sehr spannend, wie Pflanzen mit Extrembedingungen klarkommen. Schließlich können sie ja nicht weglaufen. Sie sind an ihren Standort gebunden. Die Banksia ist an Trockenheit, Hitze und häufige Buschfeuer angepasst. Wir haben entdeckt, dass die Kapseln im heißeren Nordaustralien beispielsweise eine Temperatur von über 70 Grad Celsius benötigen, damit sie sich öffnen – denn nur durch ein Feuer gelangen hier in der Asche wieder Nährstoffe in den Boden. Ein weiterer Trigger ist Feuchtigkeit – sie ist ebenfalls wichtig zum Keimen. Interessant war zudem, dass sich die Samenkapseln der Banksia in Südaustralien schon bei 50 Grad Celsius öffnen – obwohl es sich um die gleiche Art handelt.
Wodurch kommt der Unterschied zustande?
Eder: Die Krümmung der Samenkapsel ist im Norden höher als im Süden, dadurch ist sie hier stabiler. Wir wissen jedoch bisher nicht genau, warum sie in der einen Region anders wachsen als in der anderen. Das erforschen wir zurzeit.
In der Ausstellung erforschen Sie auch, wie zuverlässig die Bewegung des doppelschichtigen Materials im Exponat funktioniert. Welche Beobachtungen haben Sie bisher gemacht?
Eder: Wir schauen uns derzeit genauer an, wie das Exponat altert, denn jeden Tag lösen eine Vielzahl von Besucher*innen die Bewegung der Lamellen per Knopfdruck aus. Spannend wäre zum Beispiel auch zu testen, ob man das System wieder zurücksetzen kann. „Repariert“ Wasser die Bewegungsfähigkeit, falls sie nachlässt?
Insbesondere für die Ökolog*innen ist die Frage interessant, wie sich die Vegetation ändert, wenn es in der Heimat der Pflanze wärmer wird, weil das Klima sich ändert.
Welches Produkt könnte in Zukunft aus dem bioinspirierten Material entstehen?
Eder: Das Prinzip könnte beispielsweise bei Fassadenelementen zum Einsatz kommen. Gerne möchte ich die Besucher*innen dazu anregen, selbst kreativ zu werden und zu überlegen, was man damit machen kann. Wie Architekt*innen die „Aktivität" von Holz in ihren Entwürfen nutzen, zeigen beispielsweise Architekt*innen und Wissenschaftler*innen der Universität Stuttgart und der ETH Zürich. Sie haben den 14 Meter hohen Urbach Turm entwickelt und gebaut. Seine Brettsperrhölzer krümmen sich autonom in vorausberechnete Formen, ohne energieintensive Maschinen. Möglich wird dies durch den Schichtaufbau des Holzes und ein spezielles Trocknungsverfahren.
Kooperieren Sie mit anderen Disziplinen, um Pflanzen mit besonderen Eigenschaften wie die Banksia zu erforschen?
Eder: Ja, zum Beispiel mit Umwelt-, Holz,- oder Materialwissenschaftler*innen, Designer*innen, Geisteswissenschaftler*innen oder Biolog*innen. Insbesondere für die Ökolog*innen ist die Frage interessant, wie sich die Vegetation ändert, wenn es in der Heimat der Pflanze wärmer wird, weil das Klima sich ändert.
Wie sieht Ihre wissenschaftliche Arbeit im Alltag aus?
Eder: Sehr abwechslungsreich. Wir sind in der Natur unterwegs, um Proben zu sammeln und die Wechselwirkungen zwischen Pflanzenmaterial und der Umwelt zu erforschen. Die Proben selbst werden hauptsächlich im Labor untersucht, aber ich sitze auch häufig am Schreibtisch, beispielsweise um Daten auszuwerten, Literatur zu recherchieren oder Publikationen zu verfassen. Die Zusammenarbeit im Team ist dabei essentiell.
Was untersuchen Sie im Labor?
Eder: Wir untersuchen die Struktur der Banksia-Samenkapseln beispielsweise unter dem Mikroskop oder in einem Computertomografen. Dort erhitzen wir die Kapseln und machen 3-D-Aufnahmen von den Öffnungsbewegungen. Wir schauen aber auch, wie sich ihre mechanischen Eigenschaften im trockenen und im nassen Zustand ändern. Alle gewonnenen Daten und Informationen helfen uns dabei, das System immer besser zu verstehen.