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Wie wir Erregern immer näher kommen

Tierisch riskant

Gerade beginnt sich die Welt an COVID-19 zu gewöhnen, schon ist die nächste Zoonose da: Affenpocken. Der Name sagt es schon – eine Krankheit, die von Tieren stammt und jetzt auch Menschen infiziert. Auch wenn sich diese zwei Erreger auf unterschiedliche Weise verbreiten und ihre Gefahr unterschiedlich zu bewerten ist, ist eines klar: Durch die menschlichen Eingriffe in die Natur steigt das Risiko, dass Erreger von Tieren auf Menschen überspringen. Wie das passiert und was wir dagegen tun können, erläutern wir hier.

Eine unsichtbare Welt

Im Tierreich wimmelt es von mikroskopischen Organismen: Parasiten, Bakterien, Pilze. Hinzu kommen Viren – die kleinsten und einfachsten biologischen Strukturen. Sie alle haben ihren Platz und ihre Funktion in dem Ökosystem, in dem sie existieren. Die meisten von ihnen sind der Wissenschaft noch gar nicht bekannt. Vor allem Viren sind noch unerforscht: Geschätzte 1,7 Millionen Virenarten kommen in Säugetiere und Wasservögel vor, erfasst sind bislang nur etwa 2000. Etwa 40 Prozent der unbekannten Viren, die im Tierreich vorkommen, könnten potenziell die Fähigkeit haben, Menschen zu infizieren. Besonders RNA-Viren könnten gefährlich werden, da sie sich schnell vermehren und genetisch verändern können. Ein Beispiel: der Erreger der Vogelgrippe (aviäre Influenza) vom Typ H5N1. Er kursiert in Wildvogel- und Geflügelpopulationen, könnte aber so mutieren, dass er künftig auch Menschen leichter als bisher infiziert und sich von Mensch zu Mensch überträgt.

Dicht an dicht

Seitdem die Menschheit sesshaft ist und Tiere hält und züchtet, übertragen sich tierische Erreger auf den Menschen. So sind einige Krankheiten entstanden, die über die Jahrhunderte Millionen von Menschenleben gefordert haben: Masern, Influenza, Malaria, Tollwut oder die Pest. Doch seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich der Kontakt zwischen Menschen und Wildtieren zunehmend verstärkt.

So ist die Hälfte der Zoonosen, die im Zeitraum 1940-2005 entstanden sind, auf Veränderungen in der Landnutzung, im landwirtschaftlichen Anbau und in der Lebensmittelproduktion zurückzuführen. Durch die Abholzung von Wäldern, um Flächen für den Anbau von Soja, Ölpalmen und Zuckerrohr zu schaffen, kommen sich Menschen, Nutztiere und erregertragende Wildtiere wie Fledertiere immer näher. Neu auftretende Erreger wie der Nipah-Virus in Südostasien können so immer wieder auf Nutztiere oder direkt auf Menschen überspringen und neue Ausbrüche und Epidemien verursachen, bei denen potenziell auch viele Menschen sterben können.

Am Ausbrüten

Die Massentierhaltung trägt auch ihren Teil zur Entstehung von Zoonosen bei. Denn die Nachfrage nach Fleisch und Fleischprodukten steigt weltweit weiter an. So werden beispielsweise jährlich mehr als 30 Milliarden Hühner weltweit gezüchtet, die meisten in riesigen industriellen Geflügelfarmen. Auf engstem Raum wird hier eine große Anzahl an Tieren gehalten. Für Infektionserreger wie die Vogelgrippe-Viren ist das ideal: Sie können sich leicht verbreiten. Dabei besteht die Gefahr, dass Erreger mutieren und neue krankmachende Eigenschaften entwickeln.

Einerseits arbeiten Forscher*innen intensiv an unterschiedlichen Impfstoffen für Zuchtvögel gegen die Vogelgrippe. Schau dir dazu unser Interview mit dem Virologen Thomas C. Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit an. Andererseits sind grundlegendere Lösungen notwendig, um die Massentierhaltung zu reduzieren und zu verbessern. Die Einführung von Steuern auf die Produktion und den Konsum von Fleisch und Fleischprodukten, zum Beispiel, könnte in Zukunft Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheitsausbrüchen, aber auch Maßnahmen für den Klimaschutz und gegen die Verbreitung resistenter Keime in Geflügelfarmen finanzieren.

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Tauschgeschäfte

Auch Wildtiere werden für ihr Fleisch gejagt. In der Region Subsahara-Afrika sind viele Menschen immer noch auf die Jagd und den Verzehr von Wildtieren als Lebensgrundlage angewiesen. Doch die Zucht, Jagd und der Handel von mitunter seltenen Wildtierarten hat sich schon längst zum globalen und lukrativen Geschäft entwickelt. So werden Tiere in Länder eingeführt, in denen sie sonst nicht vorzufinden sind. Mit den Tieren wandern auch Krankheitserreger ein, die potentiell auf andere Tierarten oder den Menschen überspringen können. Diese Gefahr ist auf Tiermärkten besonders hoch, wo viele unterschiedliche lebende Wild- und Zuchttiere auf engem Raum und oft unter unhygienischer Bedingungen aufeinandertreffen. In vielen Ländern wird der Wildtierhandel nicht von den Tiergesundheitsbehörden kontrolliert.

Einige Umweltverbände fordern schon lange ein Verbot von Wildtiermärkten. Andere Akteur*innen wie das International Livestock Research Institute (ILRI) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) vertreten die Position, die informellen Märkte zu erhalten, aber stetig zu verbessern, um die Ernährungssicherheit in ärmeren Ländern zu gewährleisten.

Vorsorgliche Blutabnahme bei Menschen und Tieren an Tiermärkten, Schlachthöfen oder auf Farmen könnten künftig helfen, die Vielfalt der Erreger und die Immunität der Bevölkerung vor Ort festzustellen. Krankheitsausbrüche könnten so schneller erkannt und entsprechend eingedämmt werden.

Neue Begegnungen

Durch den menschengemachten Klimawandel verschieben sich die Klimazonen und somit auch die Verbreitungsgebiete von Tieren. Tierarten, die gewöhnlich nicht aufeinandertreffen, teilen sich auf einmal Futter- und Wasserquellen. Erreger haben es auf diese Weise leichter, von Art zu Art überzutreten. Vor allem Krankheiten, die über sogenannte Vektoren übertragen werden, können sich in Zukunft leichter an neuen Orten verbreiten.

Vektoren können Stechmücken oder Zecken sein. Beim Stechen saugen sie Blut und können so unterschiedliche Infektionskrankheiten wie Malaria oder Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) von einer infizierten Person auf eine andere übertragen. Auch von Tier zu Tier können sie Krankheiten übertragen. Die Aedes-Mücke, die unter anderem das Dengue-Fieber-Virus, Chikungunya oder das Rifttal-Fieber-Virus weitergeben kann, breitet sich beispielsweise schon in Europa und Nordamerika aus.

Natur schützen, Gesundheit zusammen denken!

Es gibt viele Gründe dafür, die Natur zu erhalten. Aber auch um gezielt die Gefahr vor weiteren zoonotischen Epidemien oder gar Pandemien zu reduzieren, müssen wir Ökosysteme und die biologische Vielfalt besser schützen. Einige Forscher*innen gehen davon aus, dass intakte Ökosysteme mit großer biologischer Vielfalt die Übertragung und Verbreitung bestimmter Erreger verringern. Denn in einem artenreichen Ökosystem ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Erreger auf Wirte treffen, in denen sie sich gar nicht weiter vermehren können. In anderen Worten – in eine Sackgasse laufen. Dieser sogenannte „Verwässerungs“-Effekt schützt auch uns Menschen: Wissenschaftler*innen haben das bei der Verbreitung des West-Nil-Virus, des Hantavirus und bei einigen Pflanzenmikroben beobachtet.

Nicht zuletzt bemühen sich Gesundheits-, Landwirtschafts- und Umweltbehörden immer im Sinne des Natur-, Arten- und Gesundheitsschutzes immer mehr zu vernetzen und zu umfassende Lösungen zu kommen, um neue Krankheiten zu verhindern.

Autor*in

Rosalina Babourkova