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Mirko Kubein

Auf zu neuen Ufern: Gemeinschaftlich und ökologisch Wohnen am Großen Zernsee

So lebt es sich im alternativen Wohnprojekt Uferwerk

Das Uferwerk in Werder an der Havel ist ein genossenschaftliches Mehrgenerationen-Wohnprojekt. Wenke Wegner ist seit Stunde eins mit dabei – sie erzählt uns im Interview, was die Wohnsiedlung auszeichnet, wie sich die Community organisiert und was die Menschen dort antreibt.

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Mirko Kubein

Wenke, was treibt einen an, ein Projekt wie das Uferwerk zu starten?

Wenke Wegner: Bei mir und meiner Familie war es zum einen die Wohnung, die zu klein wurde, und die steigenden Mieten in Berlin. Zum anderen aber auch ganz stark der Wunsch, etwas Neues zu schaffen und mehr Gemeinschaftlichkeit und Nachhaltigkeit im Leben zu verankern.

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Zur Person: Wenke Wegner ist Mit-Initiatorin des Projekts. Sie war während der Bauphase, von 2013 bis 2017, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Genossenschaft Uferwerk eG.

Bild: Mirko Kubein

Wie findet man ein solches Wohnprojekt?

Wegner: Wir sind damals, das war 2012, über ein Online-Portal für Co-Housing auf eine Genossenschaft gestoßen, die ein Gebäude und Gelände in Potsdam in ein Wohnprojekt umwandeln wollte. Wir waren eine kleine Gruppe an Menschen mit zwei Planerinnen an unserer Seite, die die Genossenschaft gegründet hatten und anfangs auch den Vorstand besetzten; so konnten wir zügig in die Kaufverhandlung gehen. Doch aus diesem Vorhaben wurde nichts und so vergrößerten wir unseren Suchradius. Über ein anderes Online-Immobilienportal sind wir dann auf das Fabrikgelände in Werder gestoßen. Jemand aus unserer Gruppe ist noch am selben Tag dorthin gefahren und hat mit dem Eigentümer gesprochen. In den folgenden Monaten führten wir herausfordernde Verhandlungen und leisteten Überzeugungsarbeit. Nach einem langen Hoffen und Bangen hat es dann tatsächlich geklappt und wir hatten einen Kaufvertrag.

Hattet ihr damals bereits eine Vision für das Gelände?

Wegner: Ja, bestimmte Ideen davon, wie wir ein Gelände als Gemeinschaft bewohnen wollten, kursierten bereits auf dem ersten Infoabend. Schon vor dem Kauf haben wir Workshops durchgeführt, um uns als Gruppe kennenzulernen und herauszufinden, was uns antreibt. Dabei wurden Wünsche formuliert wie Permakultur-Gärten, ökologisches Bauen, soziale Mieten, Mehrgenerationenwohnen und solidarische Nachbarschaft. Kein Eigentum, sondern das Projekt als Genossenschaft gestalten. Das Grundstück dauerhaft der Immobilienspekulation entziehen. Als es um das konkrete Grundstück in Werder ging, haben wir in Workshops überlegt, wo diese Wünsche auf dem Gelände umgesetzt werden können: wo wir auf dem Gelände eine Badestelle einrichten können, wo es Platz zum Gärtnern gibt. Viele der Ideen haben wir dann auch tatsächlich so realisiert.

Wer sind die Menschen, die nach und nach im Uferwerk eingezogen sind?

Wegner: Viele Bewohner*innen bzw. Mitglieder kamen über Freund*innen oder haben über ein Online-Portal von dem Projekt erfahren. Es wurde auch ein Zeitungsartikel veröffentlicht: Über den „Trend“ zum Rausziehen aus Berlin. Über diesen sind viele ältere Menschen auf unser Projekt aufmerksam geworden. Diese sind dann zu den Infoabenden gekommen. Wir sind in Potsdam mit zwölf Personen gestartet, die Hälfte von ihnen ist jetzt noch dabei. Um die Finanzierung für den Kauf zu schaffen, mussten wir schnell wachsen. Mittlerweile leben 165 Menschen hier – vom Baby bis zur 78-Jährigen. Wir haben fast 100 erwachsene Mitglieder. Beruflich ist es durchmischt: Hier leben neben vielen Sozialwissenschaftler*innen auch zwei Geigenbauer*innen, Programmierer*innen, Gestalter*innen, eine Juristin, eine Akustikerin und andere. Mehr als die Hälfte pendelt nach Berlin oder Potsdam, einige arbeiten in der Region Potsdam-Mittelmark, andere in unserem gemeinschaftlich genutzten Büro.

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Bild: Mirko Kubein

Wie sehen eure Wohnkonzepte aus?

Wegner: Im Uferwerk gibt es 65 Wohneinheiten mit jeweils unterschiedlichen Wohnformen. Die meisten leben als Familien, Singles oder Patchworkfamilien in abgetrennten Wohnungen. Es wohnen aber auch WGs hier. Einige Bewohner*innen haben keine eigene Küche, sondern teilen sich eine große Küche als „Küchengruppe“. Drei Familien teilen sich außerdem ein Wohnzimmer. Wichtig sind unsere Gemeinschaftsräume, wo viel Begegnung stattfindet: Im Sommer ist das der große Garten und das Ufer, ansonsten der Bewegungsraum, die Werkstätten oder gemeinsames Sonntagsfrühstück im Atrium.

Wie seid ihr in der Uferwerk-Gemeinschaft organisiert?

Wegner: Bei einer Genossenschaft handelt es sich um eine Unternehmensform mit langer Tradition und eigenen gesetzlichen Regelungen. Innerhalb dieses Rahmens gibt sich jede Genossenschaft jedoch ihre eigenen Spielregeln, die in der Satzung festgeschrieben sind. Als Genossenschaft führen wir jährliche Mitgliederversammlungen durch. Für das Zusammenleben wichtig sind die einmal im Monat stattfindenden Plena, auf denen wir Beschlüsse fassen. Wir sind da sehr basisdemokratisch aufgestellt. Wir haben Arbeitsgruppen für unzählige Themen – etwa für Bauvorhaben, das zukünftige Saunaboot, den Steg oder den Garten. Aber auch für Finanz- und Verwaltungsarbeit. Es gibt immer etwas zu tun.

Regionalität, Nachhaltigkeit, Community: Was ist für dich das Besondere am Uferwerk?

Wegner: Wir haben hier als Gruppe und auf dem Gelände tolle Möglichkeiten, Dinge einfach auszuprobieren und heißen die Nachbarschaft willkommen, die Möglichkeiten im Uferwerk zu nutzen. Wer möchte, kann beispielsweise in die Klimawerkstatt kommen – das sind Werkstatträume in einer ehemaligen Halle, die vom Verein Halle 36 e.V. betrieben werden. Dort können Holz-, Metall-, Elektro- und Näharbeiten durchgeführt werden, und es gibt eine Fahrradwerkstatt sowie ein Repair-Café. Mit der Klimawerkstatt und anderen Projekten fördert der Verein Halle 36 e.V. Bildung und Engagement im Bereich Kunst, DIY und Umweltschutz. Er schafft die Möglichkeit zu nachbarschaftlicher Begegnung und Austausch in Werder.

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Bild: Mirko Kubein

Dann gibt es noch Stadt Land Move e.V.: Das ist ein Verein, der zur Entwicklung von stabilen, vielfältig lebendigen und solidarisch und ressourcenschonend wirtschaftenden Regionen beitragen möchte, in denen neue Formen der Ökonomie und des Zusammenlebens praktiziert werden. Die Food-Coop des Uferwerks ist zudem mit verschiedenen solidarischen Landwirtschaften verknüpft. Und wir haben gemeinsam mit einem Hamburger Startup eine Car-Sharing-Community aufgebaut, innerhalb derer Bewohner*innen ihr privates Auto zum geteilten Nutzen über eine Buchungsplattform zur Verfügung stellen. Die Waldorfschule und verschiedene andere Initiativen in Werder bieten einigen Bewohner*innen wichtige Anknüpfungspunkte zur Vernetzung in der Region.

Das sind nur einige Beispiele. Generell ist das Leben im Uferwerk aus meiner Sicht geprägt von vielen spontanen Begegnungen. Mir und meiner Familie gibt das total viel, und ich fühle mich sehr verbunden mit den Leuten.

Was wünscht du dir für die Wirtschaft der Zukunft?

Wegner: Ich wünsche mir eine klimagerechte, enkelgerechte, entschleunigte, gemeinwohlorientierte, ressourcenschonende Wirtschaft, die sich davon verabschiedet, Gewinne maximieren zu müssen. Ich hoffe auf die Verbreitung der Idee, dass Wohlstand sich am Wohlergehen der Bevölkerung misst – und nicht am Bruttosozialprodukt. Wirtschaftsplanung sollte entsprechend anhand von sozialen und ökologischen Faktoren erfolgen.

Vielen Dank für das Interview, Wenke!

Bilder: Mirko Kubein