Ob Pflanzen Krankheitserregern trotzen können, entscheiden auch die Gene. Foto: Artem / Fotolia

Denkraum Natur

Mit Gen-Schere zur Superpflanze

Wie gedeihen Nutzpflanzen auf den Feldern noch schneller und kräftiger? Und wie lassen sich Schädlinge am besten bekämpfen? Seit Tausenden von Jahren stellen sich Ackerbauern rund um den Globus Fragen wie diese. Aktuell gewinnt eine Frage an Brisanz: Was müssen wir tun, um auch in Zukunft genügend Nahrungsmittel zur Verfügung zu haben? Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen. Im Vergleich zu heute sind das rund 2,5 Milliarden zusätzliche Menschen, die ernährt werden müssen.

Ob Pflanzen Krankheitserregern trotzen können, entscheiden auch die Gene. Foto: Artem / Fotolia

Neue Züchtungsmethoden – allen voran die Gentechnik – versprechen schnelle Lösungen: robuste Pflanzen, die in Zeiten des Klimawandels extremem Wetter und Krankheiten trotzen und hohe Erträge garantieren. Und die perfekt zu einer nachhaltigen Landwirtschaft passen sollen, die Umwelt und Ressourcen schont.

Erbgut verändern statt Eigenschaften einkreuzen

Goldgräberstimmung herrscht derzeit bei Wissenschaftler*innen, welche die „Genom-Editierung“ vorantreiben. Für die Fachzeitschrift MIT Technology Review ist die neue Methode „die wichtigste biotechnologische Entdeckung des Jahrhunderts“[1]. Mit ihrer Hilfe kann das Erbgut von Pflanzen verändert und umgeschrieben werden. So werden klassische und langwierige Züchtungsverfahren überflüssig, bei denen Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften miteinander gekreuzt werden.

Das Besondere der Genom-Editierung: Anders als bei herkömmlichen Gentechnik-Verfahren kommen bestimmte Anwendungen der neuen Methode ganz ohne artfremde Gene aus. Denn die Technologie ermöglicht es, das pflanzeneigene Erbgut mithilfe einer Gen-Schere präzise zu verändern – um Pflanzen zum Beispiel gegen Erreger zu wappnen.

Werkzeug gegen Mehltau und andere Erreger

Bei der Pflanzenkrankheit Mehltau, bei der Pilze die Pflanzenteile mit einem weißen Belag überziehen und sie später vertrocknen lassen, funktioniert das so: Der Pilz dringt in die Zellen von Weizenpflanzen mit einer Art Mini-Schlauch ein, um sich mit Nährstoffen zu versorgen. Damit ihm das gelingt, braucht er ein bestimmtes Eiweiß. Dieses befindet sich auf der Oberfläche einer Zelle der Weizen-Pflanze. Fehlt der Weizenzelle dieses Eiweiß, weil es zuvor per Gen-Schere aus dem Erbmaterial der Pflanze entfernt wurde, kann der Pilz dem Weizen nichts mehr anhaben.

Egal ob Genom-Editierung Pflanzen immun gegen Krankheiten machen oder Früchte und Getreidekörner größer wachsen lassen soll – das Prinzip, nach dem die Gen-Schere arbeitet, ist immer ähnlich:

1. Präzise Suche: Forscher*innen bringen spezielle Eiweißkomplexe aus Bakterien, die sogenannten Restriktionsenzyme (bei CRISPR/Cas9 ist es das „Cas9 Schneideprotein“), sowie ein Erkennungsmolekül (die „Guide RNA“) mit gentechnischen Methoden in die Pflanzenzellen ein. Dort suchen und finden die Cas9 Enzyme geleitet von der Guide-RNA genau die Stelle im Erbgut der Pflanze, an der die DNA zerteilt werden soll (die „Ziel DNA“).

2. Exakter Schnitt: Wie ein Mikro-Skalpell durchtrennen die Enzyme die Pflanzen-DNA exakt an der festgelegten Stelle.

3. Neue Strukturen: Reparatur-Enzyme der Pflanze versuchen, den Schaden an der DNA zu beheben. Dabei gibt es zwei Mechanismen der Reparatur. Bei der Homologen Rekombination wird mithilfe einer hinzugegebenen Vorlage eine Genkorrektur oder das Einfügen von DNA-Abschnitten an einer gewünschten Sequenz möglich. So verhilft man der Pflanze zu neuen Eigenschaften. Bei der Nicht-homologen Rekombination werden die beiden Enden der DNA ohne Vorlage wieder zusammengefügt, wobei es zu Fehlern (Mutationen) kommen kann, die das Gen schädigen und außer Betrieb setzen. Auf diese Weise konnten Pflanzen resistent gegen den Krankheitserreger Mehltau gemacht werden. Der Erreger benötigt nämlich ein bestimmtes Protein (Rezeptor) auf der Oberfläche der Zelle, um in die Zelle einzudringen. Zerstört man diesen Rezeptor, kann der Erreger nicht mehr eindringen und die Pflanze ist resistent. Die Geninaktivierung mittels Nicht-homologer Rekombination ist leichter durchzuführen als die Homologe Rekombination.

Meilensteine der Genom-Editierung:

1978

Für ihre grundlegenden Arbeiten zur „Entdeckung der Restriktionsenzyme und ihre Anwendung in der Molekulargenetik“ bekommen Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton Othanel Smith den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Der von ihnen erforschte Eiweißkomplex, der unter anderem Bakterien zur Virenabwehr dient, wird Jahre später bestimmte DNA-Teile erkennen und zerschneiden können.

1996

Künstlich erzeugte Eiweißkomplexe, sogenannte Zinkfinger-Nukleasen (ZFN), können erstmals DNA gezielt zerschneiden. Der Prozess dauert bis zu zwei Monate, die Kosten liegen zwischen 1 000 und 25 000 US-Dollar (etwa 900 bis 22 500 Euro). (https://www.pflanzenforschung....)

2010

Entwicklung der TALEN-Technologie (Transcription activator-like effector nuclease): Sie ermöglicht es Forscher*innen, künstliche Eiweißkomplexe einfacher und schneller herzustellen – in weniger als einer Woche. (https://www.pflanzen-forschung...)

2012

Entwicklung der CRISPR-Cas-Technologie (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats): Das Verfahren macht Genom-Editierung einfacher, schneller und günstiger denn je. Die Methode kostet weniger als 100 Dollar (ca. 90 Euro), Planung und Durchführung dauern nur einige Tage. (https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/wie-crisprcas-funktioniert-eine-einfache-technologie-ve-10496) Der Grund: Die Gen-Schere funktioniert präziser als zuvor - und in fast allen lebenden Zellen und Organismen. Sie verspricht neue Möglichkeiten gegen AIDS oder Krebs, aber auch bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren. Erste CRISPR-editierte Pflanzen werden bereits im Freiland getestet.[2]

2012

Rasanter Anstieg der Genom-Editierungen und Tausende Publikationen zum Thema. Die Methode löst eine weltweite Revolution in den Laboren aus.

2015

Genom-Editierung mithilfe der CRISPR-Cas-Methode wird von der Zeitschrift Science als „Breakthrough of the Year" ausgezeichnet.

2015

Arctic Apple" sind in den USA ohne Kennzeichnung zugelassen: Die mithilfe von Genom-Editierung (Methode: RNA-Interferenz) veränderten Äpfel werden nach dem Aufschneiden nicht braun und sehen länger frisch aus. Seit 2017 werden die „Arctic Apples" in den USA vermarktet. Mit CRISPR-veränderte Champignons sind seit 2016 in den USA ohne Kennzeichnung zugelassen.

2018

Der Europäische Gerichtshof stuft Genom-Editierungsverfahren als Gentechnik ein. Expert*innen diskutieren seitdem darüber, ob dies angemessen ist. Außerdem wird die Frage diskutiert, ob die neuen Methoden mit dem Biolandbau vereinbar sein könnten.

Aktuelle Debatte: Kennzeichnungspflicht

Doch welche Risiken birgt die Genom-Editierung mit ihrem Spektrum an Anwendungen? Wird sie sich langfristig auf unsere Gesundheit oder Umwelt auswirken? Viele offene Fragen nähren die Skepsis, mit der Verbraucher*innen dem gentechnischen Züchtungsverfahren begegnen. Kritiker*innen fordern derzeit die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln. Denn in der Regel lässt sich auch mit molekularbiologischen Analysen nicht eindeutig feststellen, ob genetische Unterschiede durch natürliche, also zufällige Mutationen entstanden sind – oder durch Züchtungsverfahren wie Genom-Editierung.

Strikte Richtlinien in der EU

Was wo erlaubt ist, variiert von Land zu Land. Werden längere DNA-Abschnitte – oder gar ein komplettes Gen – ins Pflanzen-Erbgut eingebaut, gilt die Pflanze international als gentechnisch veränderter Organismus (GVO): Ihre Verwendung wird entsprechend reguliert. Strenger sind die Auflagen in der EU: Seit Juli 2018 fallen alle mit Genom-Editierungsverfahren erzeugten Pflanzen in der Europäischen Union unter das Gesetz zur Regelung der Gentechnik. Ihre Nutzung, aber auch jede Freisetzung in die Umwelt müssen genehmigt, aus ihnen hergestellte Lebens- und Futtermittel müssen gekennzeichnet werden.

Stimmen zur Genom-Editierung:

„Die Genom-Editierung ist eine Chance zur Demokratisierung, eine sehr gut erforschte einfache Methode, mit der ohne immense Kosten innovative Produkte erzeugt werden können.“

Doktor Sarah M. Schmidt, Wissenschaftlerin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Fachbereich Molekulare Physiologie, und Pflanzenbiologe Wolf B. Frommer, Humboldt-Professor an der Universität Düsseldorf, auf faz.de

„Im Vordergrund (...) sollte das von einer neuartigen Pflanze ausgehende mögliche Risiko stehen – unabhängig von der Technologie, mit der sie hergestellt wurde. Diese Betrachtungsweise wäre im Sinne der Verbraucher ebenso wie im Interesse der Forschung und könnte neue Möglichkeiten für eine zukunftsgerichtete, nachhaltige Landwirtschaft eröffnen.“

Professor Doktor Katja Becker, Biochemikerin und Molekularbiologin an der Universität Gießen und Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG gegenüber Science Media Center Germany (SMC).

„Veränderungen am Erbgut, die mit Hilfe von CRISPR/Cas erzielt werden, sind klar als Gentechnik einzuordnen (...) Schon seit Beginn der Gentechnikgesetzgebung werden Punktmutationen, die mit klassischen gentechnischen Methoden erzeugt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen angesehen (...) Dies geschieht aus gutem Grund. Auch kleine Eingriffe können zu weitreichenden Eigenschaftsveränderungen eines Organismus führen und somit relevante Auswirkungen auf Mensch und Natur haben."

Doktor Margret Engelhard, Leiterin des Fachgebietes Bewertung gentechnisch-veränderter Organismen/Gentechnikgesetz beim Bundesamt für Naturschutz (BfN), gegenüber Science Media Center Germany (SMC).

Wie funktioniert Genom-Editierung mit CRISPR-Cas9? Dieses Video der Max-Planck-Gesellschaft zeigt es dir.