Lorenzo Casalino, Zied Gaieb, Rommie Amaro, UC San Diego
Höher, schneller, weiter: Mit Supercomputern gegen Corona
Digitale Forschungsarbeiten werden immer wichtiger. Wir haben mit zwei Wissenschaftler*innen darüber gesprochen, was mit Computern in der Forschung möglich ist – und wie sie uns heute schon in der Corona-Pandemie helfen können.
Lorenzo Casalino, Zied Gaieb, Rommie Amaro, UC San Diego
Corona-Forschung ohne Mundschutz – in der Welt der Supercomputer
Eine dieser Chemiker*innen ist Rommie Amaro. Sie und ihr Team arbeiten in Texas an einem der größten und rechenstärksten Computer der Welt – einem sogenannten Supercomputer. Er heißt Frontera und funktioniert genauso wie die Computer, die wir aus unserem Alltag kennen. Was ihn zum Supercomputer macht, ist seine Größe: Statt wie ein Laptop in einen Rucksack zu passen, nimmt Frontera gleich ein ganzes Gebäude ein.
Rommie Amaro und ihre Kolleg*innen arbeiten in einem weltweit einzigartigen Projekt daran, am Computer ein digitales Modell des Corona-Virus SARS-CoV-2 zu erstellen. Mit diesem digitalen Corona-Virus lassen sich dann Experimente machen – ganz ungefährlich und ohne, dass sich die Forscher*innen dafür mit Ganzkörper-Schutzanzügen ausrüsten müssten. Und das ist nicht der einzige Vorteil: „Wir können zusehen, wie genau sich all die Atome des Virus bewegen”, erklärt Rommie Amaro. „Ich nenne unsere Software deshalb gerne ein ‚Computer-Mikroskop‘. Denn mit unserem Computer kann man Dinge sehen, die in normalen Experimenten unsichtbar bleiben würden.” Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler*innen verstehen, wie sich das Virus in unseren Körpern verhält.
Wir können zusehen, wie genau sich all die Atome des Virus bewegen.
Im Moment baut das Forschungsteam aus San Diego das Virus am Computer nach. Das ist eine riesige Aufgabe, denn insgesamt müssen 200 Millionen Atome ihren richtigen Platz finden. Wenn alles nach Plan verläuft, soll es im nächsten Monat soweit sein. Dann ist das riesige Computer-Modell des Virus einsatzbereit. Rommie Amaro und ihr Team werden dann per Supercomputer berechnen, wie das Virus menschliche Zellen angreift.
Dieser Vorgang dauert im echten Leben nur wenige Millisekunden, also etwa so lange wie ein Fotoblitz. Weil in dieser winzigen Zeitspanne aber Millionen von Atomen in Bewegung sind, wird der Supercomputer mehrere Wochen oder sogar Monate brauchen, bis er den Vorgang berechnet hat. Doch das Warten lohnt sich: Als Ergebnis werden die Wissenschaftler*innen eine Art Film erhalten, der genau zeigt, wie sich das Virus bewegt und wo seine Schwachstellen liegen. Diese Informationen sind wichtig für die weitere Entwicklung von maßgeschneiderten Medikamenten und Impfstoffen.
Rommie Amaro (UC San Diego); Dominik Hangleiter (Freie Universität Berlin).
Credit: Rommie Amaro; Dominik Hangleiter
Mit der fortschreitenden Entwicklung von rechenstarken Computern werden Simulationen wie diese in Zukunft noch viel wichtiger werden als sie es heute schon sind. Doch was ist mit den Computern selbst? Werden die in Zukunft ganz anders funktionieren?
Mysteriöse Quantencomputer
Seit einigen Jahren wird an einer neuen Form von Computern geforscht, den Quantencomputern. Sie sind aus winzigen Teilchen aufgebaut, die so klein sind, dass für sie die physikalischen Spielregeln unserer Alltagswelt nicht mehr gelten. Stattdessen funktionieren sie nach den Regeln der Quantenmechanik, die ihnen besondere Eigenschaften verleihen.
Die Entwickler*innen hoffen, dass Quantencomputer durch diese besonderen Eigenschaften in Zukunft viel schneller rechnen werden als die stärksten Supercomputer. Aber stimmt das?
Dominik Hangleiter ist Physiker und forscht an der Freien Universität Berlin zu Quantencomputern. „Für bestimmte Probleme könnten Quantencomputer viel besser sein als klassische Computer“, erklärt er. Das wurde im letzten Jahr zum ersten Mal in einem Experiment bewiesen. Ein Meilenstein für die Forschung – auch wenn es dabei um ein sehr spezielles theoretisches Rechenproblem ging, für das es bisher noch keine konkrete Anwendung gibt.
Eine der großen Herausforderungen, so erklärt Dominik Hangleiter, liegt jetzt darin, sinnvolle praktische Anwendungen für Quantencomputer zu finden. Und auch beim Bau der Computer ist noch viel zu tun. Bisher gibt es weltweit erst wenige Prototypen von Quantencomputern. In Zukunft sollen sie noch viel größer und damit rechenstärker werden als sie es heute sind.
Auch wenn für Quantencomputer noch viele Fragen offen sind, bieten sie spannende Zukunftsaussichten. Das gilt zum Beispiel bei Rechenaufgaben ähnlich wie der von Rommie Amaro, wo die Verhaltensweisen von kleinen Teilchen wie Elektronen oder Molekülen vorausgesagt werden sollen. Denn diese Teilchen sind so klein, dass sie selbst Quanteneigenschaften besitzen. Wo Rommie Amaros Supercomputer erst mühsam und mit vielen Rechenschritten diese Eigenschaften simulieren muss, könnte sie ein Quantencomputer ganz intuitiv nachvollziehen und sehr schnell zu einem Ergebnis kommen.
Für bestimmte Probleme könnten Quantencomputer viel besser sein als klassische Computer.
Und wohin geht es in Zukunft?
Um die große und komplizierte Rechnung, die Rommie Amaro durchführt, auf einem Quantencomputer zu rechnen, müssen diese erst noch sehr viel rechenstärker werden als sie heute sind. Trotzdem ist Dominik Hangleiter optimistisch, dass so etwas – mit etwas Glück in der Entwicklung – in einigen Jahren bis Jahrzehnten möglich sein könnte.
Und auch Rommie Amaro blickt zuversichtlich in die Zukunft, ob mit oder ohne Quantencomputer: „Wenn Leute an Wissenschaftler*innen denken, dann denken sie an Laborkittel und Laborbrillen und Glaskolben und Bunsenbrenner, aber es gibt diese ganze Welt der Computer und der Theorie, und sie wird immer stärker und stärker und stärker.“ Wie das passiert – ob wir in Zukunft mit intelligenten Supercomputern neue Impfstoffe finden oder auf Quantencomputern das Programmieren ganz neu erlernen – ist noch nicht sicher. Dass Forschung in Zukunft immer mehr auf unseren Computern stattfinden wird, das ist gewiss.
Die Fraunhofer-Gesellschaft und IBM bringen Quantenrechner für Industrie und Forschung nach Deutschland. 2021 wird ein solcher IBM Q System One Quantencomputer in einem Rechenzentrum von IBM Deutschland bei Stuttgart installiert.
Credit: IBM
Power des Netzwerks
Computersimulationen sind aus der Forschung nicht mehr wegzudenken.
Trotzdem haben noch nicht alle Wissenschaftler*innen Zugang zu rechenstarken Supercomputern. Um trotzdem forschen zu können, benutzen einige von ihnen dezentrale Netzwerke. In so einem Netzwerk sind tausende kleine Computer miteinander in Verbindung, die zusammen auch richtig Power haben.
Titelbild: Die Proteine, die wie Zacken das Corona-Virus dekorieren, könnten ein möglicher Angriffspunkt für ein COVID-19-Medikament sein. Um zu verstehen, wie Medikamente das Virus unschädlich machen können, untersuchen Rommie Amaro und ihr Team die Bewegungen des Virus am Supercomputer. Credit: Lorenzo Casalino, Zied Gaieb, Rommie Amaro, UC San Diego.