“Die Maschine steht still” ‒ E. M. Forsters Text aus heutiger Sicht
E. M. Forster (1879-1970), bekannt als Verfasser subtiler Gesellschaftsromane wie “Wiedersehen mit Howards End” oder “Zimmer mit Aussicht”, entwirft in seiner Erzählung “Die Maschine steht still” (1909) ein befremdliches Zukunftsszenario ‒ das uns heute aber beinahe vertraut vorkommt.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Willer (Institut für Kulturwissenschaften der Humboldt-Universtität zu Berlin, Stellvertretender Direktor des Zentrum für Literatur- und Kulturforschung)
Das betrifft besonders die titelgebende “Maschine”, ein allumfassendes Kommunikationssystem, mit dem Forster das Internet vorwegzunehmen scheint. Die Menschen widmen sich ganz dem virtuellen Austausch und wechselseitigen Kommentar von “Ideen”, ohne je direkt miteinander sprechen zu müssen. Auch um Nahrung, Kleidung und medizinische Versorgung kümmert sich das System.
Vashti, die Protagonistin der Erzählung, lebt als haar- und zahnloser “Fleischberg” isoliert in einem unterirdischen Raum, wie alle ihresgleichen, und doziert vor interessierten Zuhörern über die Musik der “Australischen Periode”. Vashtis Sohn Kuno hingegen lässt sich von der Maschine nicht befrieden. Er beginnt zu fragen und zu handeln, er macht Erfahrungen, die in seiner Welt nicht mehr vorgesehen sind, und er möchte seiner Mutter persönlich davon berichten. Nicht zuletzt davon, von der Herausforderung einer direkten Gesprächs- und Erzählsituation, handelt Forsters Erzählung. Wir selbst als Leserinnen und Leser werden in eine solche Situation versetzt, beginnend mit dem ersten Satz: “Stellt euch, wenn ihr könnt, ein kleines Zimmer vor, sechseckig, wie die Zelle einer Bienenwabe.” Der Erzähler führt uns so in Vashtis Behausung, aber zugleich macht er uns bewusst, wie weit wir von jener Welt entfernt sind. Die Distanz zwischen dem wiederholt betonten Jetzt des Erzählens und der fernen Zukunft ist durch keine Zeitmaschine zu überbrücken, sondern nur durch die Arbeit der Imagination.
Kann die Menschheit, die sich bereits gänzlich stillgestellt hat, zu einer neuen Existenzweise finden, oder geht sie mit der Maschine unter?
So bemerkenswert Forsters Vision von der “Maschine” auch ist, prognostiziert er hier nicht eigentlich eine bestimmte technische Entwicklung, sondern versucht sich von der eigenen Gegenwart um 1900 abzusetzen, indem er die ihr eigene futuristische Emphase gleichsam durchstreicht. Möglicherweise können wir heute deshalb umso mehr mit der Erzählung anfangen ‒ in unserer technisch instrumentierten Welt, in der aber Narrative des Fortschritts kaum noch eine Rolle zu spielen scheinen. Was also, wenn in einer geschichtslosen Welt das System eines Tages aufhört zu laufen? Kann die Menschheit, die sich bereits gänzlich stillgestellt hat, zu einer neuen Existenzweise finden, oder geht sie mit der Maschine unter?
Am 01. und 02. Juni wird “Die Maschine steht still” von E. M. Forster im Rahmen einer Lecture Performance am Futurium aufgeführt. Die Aufführung ist eine gemeinschaftliche Arbeit von Johanna Wokalek und Fabian Russ.
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Für die deutschsprachige Ausgabe:
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Der Originaltext wurde erstmals 1909 unter dem Titel The Machine Stops im Magazin The Oxford and Cambridge Review veröffentlicht. Erstmals in Buchform erschien die Erzählung 1928 in der Kurzgeschichtensammlung The Eternal Moment and Other Stories im Verlag Sidgwick & Jackson Ltd., London.