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Foto: Ludmilla Ostermann

Das Projekt Whale Bells bringt den Klang der Wale an die Oberfläche

Botschaft aus der Tiefe

Die warmen, gedeckten Klänge der Whale Bells sind Kunstobjekt und Botschaft zugleich: Eine Nachricht aus der Vergangenheit, von längst ausgestorbenen Furchenwalen an ihre Nachfahren, die heutigen Buckelwale. „Diesmal aber erzeugt ein Teil der Ohren der Wale, der einst Geräusche wahrgenommen hat, die Töne“, erklärt Jenny Kendler und meint die Klöppel der Glocken, die aus dem Ohrknochen einer Walart aus dem Miozän stammen. Und das klingt so:

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Foto: Ludmilla Ostermann

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In Kollaboration mit Andrew Bearnot hat die Künstlerin und Aktivistin Kendler die Whale Bells geschaffen. Und angefangen hat eben alles mit dem uralten Ohrknochen: „Die Fossilien stammen von einem Taucher, der sie in den Küstenflüssen bei Beaufort in South Carolina gefunden hat“, sagt Bearnot. Weil sie unter Wasser von viel Sediment bedeckt sind, werden die Knochen hauptsächlich durch Berührungen gefunden. „Eine wirklich beeindruckende Vorstellung.“

Acht Whale Bells sind im Futurium im Denkraum Natur ausgestellt. Sie symbolisieren den Konflikt, der durch das Eingreifen des Menschen in die Natur entsteht: „Vor Millionen von Jahren sangen und kommunizierten Wale in ihren unberührten Meeren, lange bevor die Menschheit begann, die Ozeane mit dem Lärm menschlicher Aktivitäten zu verschmutzen“, sagt Kendler.

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Jenny Kendler und Andrew Bearnot mit den Whale Bells.

Foto: David Sampson

Die Kommunikation der Wale fasziniert die beiden Künstler*innen. „Der Gesang ist komplex, und wir wissen noch immer wenig darüber“, sagt Bearnot. Für den Künstler ist die Kommunikation der Wale eine Sprache und Kunstform. „Oder irgendwas dazwischen.“ Sie sei ein Zeichen dafür, dass der menschliche Exzeptionalismus nicht haltbar sei, denn der beruhe darauf, dass der Mensch die einzige Spezies sei, die eine Sprache habe oder Kunst mache.

Melancholisch und geheimnisvoll

„Was könnte melancholischer, schöner und geheimnisvoller sein als der Gesang der Wale in den Tiefen des Meeres?“, fragt Jenny Kendler. Wir müssten ihn als Botschaft verstehen, denn die Ausbeutung der Erde müsse sich aufhören. „Obwohl die Waljagd weniger verbreitet ist, wird sie in Norwegen, Island und Japan noch immer betrieben. Viele Walarten leiden außerdem unter der Lärmbelastung in den Meeren.“

Und die ist nicht zu unterschätzen: Die industrielle Schifffahrt, die seismische Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen sowie das Sonar der Marine können Wale in ihrer Kommunikation stören und in einigen Fällen sogar zum Tod der Tiere führen. Etwa dann, wenn sie – um dem Lärm zu entkommen – zu schnell auftauchen und dadurch verbluten. Diese Tatsache finde noch zu wenig Beachtung, meint Kendler.

Seltsame Wechselwirkung zwischen Walen, Öl und dem Klimawandel

Das wollen die Whale Bells ändern: Die Ombré-Töne der mundgeblasenen Glasglocken sollen an die Tiefen der Ozeane erinnern, die Seile und Knoten an nautische Techniken. „Stirbt ein Seemann auf See, wird die Glocke acht Mal geläutet, um das Ende der Wache zu signalisieren“, erläutert Kendler.

Die Glocken sind auch Symbol für die seltsame Wechselwirkung zwischen Walen, Öl und dem Klimawandel: „Wale wurden bis zur Ausrottung gejagt, weil ihr sogenannter Blubber, der Tran der Tiere, in der frühen Industrialisierungsphase als Öl für Lampen und Maschinenfett genutzt wurde“, erklärt Andrew Bearnot. Mit der Förderung von Erdöl ging die Waljagd zurück. „Die Wale wurden sozusagen von der Industrie gerettet.“ Aber nur auf den ersten Blick, denn der Industrielärm, der heute durch die Gewinnung von Öl und Gas in der Tiefsee verursacht wird, bedroht die Wale akut.

Kendler: „Ziel ist es, dass die Betrachter*innen der Whale Bells unsere Beziehungen zu den mysteriösen `Anderen‘ und ihrem Lebensraum auf neue Weise denken.“

Autor*in

Ludmilla Ostermann