Hector Alvarez (links) und Carlo Schmid (rechts) in der Projektwerkstatt.
Zukunft selbstgemacht in der Projektwerkstatt der TU Berlin
2nd Hand Mobilität
“Second Hand Kleidung” ist inzwischen allen ein Begriff, aber wie sieht es mit “Second Hand Mobilität” aus? Carlo und Hector sind Master-Studenten und Tutoren an der TU Berlin in den Fachbereichen Maschinenbau und Regenerative Energien. Im Frühjahr 2020 gründete Carlo die Projektwerkstatt “2nd Hand Mobilität” an der TU Berlin mit dem Ziel, ein altes Motorrad auf Elektroantrieb umzurüsten. Welches noch viel größere Vorhaben hinter diesem Umbau steckt, erfährst du im folgenden Beitrag.
Hector Alvarez (links) und Carlo Schmid (rechts) in der Projektwerkstatt.
Der Verkehrswende 2050 auf der Spur
Verbrennungsmotoren so weit das Auge reicht – Notbremse ziehen!
Die Bundesregierung möchte den Straßenverkehr bis 2050 klimaneutral gestalten. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt so gut wie keine der klassischen Verbrennungsfahrzeuge, also Benziner und Diesel, mehr fahren dürften. Momentan sind aber knapp 47 Millionen Verbrennungsfahrzeuge auf Deutschlands Straßen unterwegs. Was passiert bis 2050 mit all diesen Fahrzeugen? Verschrotten? Export in ärmere Länder im globalen Süden? Woher kommt der Ersatz für die vielen Verbrennerautos in Deutschland im Jahr 2050?
Zur Zeit wird auf die Neuproduktion von Elektrofahrzeugen und Wasserstofffahrzeugen gesetzt.
Das scheint problematisch, weil alleine die Produktion eines einzelnen Neuwagens etwa das Fünfzigfache seines Eigengewichts an Rohstoffen erfordert. 15-20% der Treibhausgasemissionen, die ein Verbrennungsfahrzeug über seine gesamte Lebensdauer zu verantworten hat, entstehen schon bei der Produktion.
Man sieht an dem folgenden Diagramm, dass, wenn das Fahrzeug frisch aus der Fabrik kommt und somit noch keinen einzigen Kilometer gefahren ist, es trotzdem schon Treibhausgasemissionen zu verantworten hat, die durch die Produktion des Fahrzeugs entstehen. Mit jedem Kilometer, den das Fahrzeug fährt, kommen mehr Emissionen hinzu – bei einem Verbrennungsfahrzeug also bedingt durch die produzierten Abgase.
Am Ende, nach ca. 150.000-200.000 km, wenn das Fahrzeug den Geist aufgibt, kann man einen Blick auf die komplette Klimabilanz des Fahrzeugs werfen und erkennt, dass ein großer Teil der Emissionen immer noch durch die anfängliche Produktion zu verantworten ist.
Bringen uns Elektrofahrzeuge zurück ins Rennen?
Dass Verbrennungsfahrzeuge nicht die Lösung für die Verkehrswende im Jahr 2050 sind, ist klar.
Wie sieht es aber mit Elektrofahrzeugen aus?
Auch diese Fahrzeugproduktion kostet, wie zuvor bereits erwähnt, CO2-Emissionen. Hierbei kommt bei einem Elektrofahrzeug die Produktion eines Akkus hinzu, der einen zusätzlichen erheblichen Anteil an CO2-Emissionen hervorbringt. Darüber hinaus folgen, trotz Elektroantrieb, auch bei der Fahrt kleinere Mengen an CO2-Emissionen. Dass der Emissionswert steigt, liegt daran, dass das deutsche Stromnetz noch nicht klimaneutral ist. Dies könnte sich natürlich in Zukunft ändern und stellt somit auch einen Ansatzpunkt zu mehr Klimaneutralität dar. Zusammengefasst: Auch durch die Neuproduktion eines Elektrofahrzeugs kann die Verkehrswende 2050 nicht alleinig realisiert werden.
Mit der 2nd Hand Mobilität auf der Überholspur
Warum nimmt man also nicht einfach die Verbrennungsfahrzeuge, von denen wir voraussichtlich viel zu viele übrig haben werden? Diese werden auch im Jahr 2050 noch gut funktionieren, weil aktuell weiterhin neue Verbrennungsfahrzeuge produziert werden. Hier tauscht man nun die Komponente aus, die problematisch zum Erreichen des Klimaziels ist, also den Motor der Verbrennungsfahrzeugs. Dieser wird dann durch einen Akku und Elektromotor ersetzt. Man könnte dieses daraus entstehende Produkt als “elektrifiziertes Altfahrzeug” bezeichnen, und genau das ist die Idee von Carlo und Hector.
Durch diesen Ansatz fällt der Anteil an CO2-Emissionen bezüglich der Fahrzeugproduktion weg, und nur noch die Emissionen der Akkuproduktion und der Fahrt bleiben bestehen. Dadurch könnte man eine Reduktion um ca. 50% der Treibhausgase im Vergleich zur weiteren Nutzung von Verbrennungsfahrzeugen erreichen.
Das umweltfreundlichste Fahrzeug ist nicht das, das völlig neu produziert wird, sondern das, welches klimaneutral weitergenutzt wird.
Mit diesem Konzept des Umbaus von Altfahrzeugen auf Elektro in möglichst großer Stückzahl hat Carlo die Projektwerkstatt an der TU Berlin gegründet. Ein Ziel ist es, in diesem Rahmen die technischen, wirtschaftlichen und juristischen Herausforderungen zu untersuchen.
Auf technischer Ebene ist es besonders wichtig, die Frage zu beantworten: „Wie schafft man es, einen möglichst schnellen Umbau des Altfahrzeugs zu gewährleisten?“ Das angestrebte Ziel von Carlo, Hector und ihrem Team ist ein Umbau innerhalb von ein bis zwei Stunden.
Zu den juristischen Fragen arbeitet das Team eng mit Prüfingenieuren der Dekra zusammen und klärt, ob es überhaupt irgendwann rechtlich möglich ist, Fahrzeuge in großer Stückzahl umgebaut zuzulassen. Zur wirtschaftlichen Prüfung des Konzepts arbeitet das Team der TU mit Studierenden der MLU Halle zusammen und erstellt beispielsweise eine Marktanalyse und Businesspläne. Die zentrale Frage lautet hierbei: Ist die Idee der Second Hand Mobilität wirtschaftlich tragbar?
An diesen Kooperationen wird deutlich, dass die Projektwerkstatt “2nd Hand Mobilität” interdisziplinär arbeitet und die Zusammenarbeiten wichtig sind, um der komplexen Herausforderung gerecht zu werden.
Um die aufgeführten Untersuchungen auf einen handhabbaren Forschungsrahmen herunterzubrechen, haben sich Carlo und Hector im ersten Schritt speziell auf die Umrüstung von Simson-Mopeds entschieden. Die Fahrzeugklasse der Kleinkrafträder eignet sich besonders als erste Prototypen, weil diese recht günstig sind, und auch der technische Aufbau einfach gehalten ist im Vergleich zu PKWs oder gar LKWs. Der weitere Schwerpunkt auf Simson-Mopeds begründet sich durch die vorhandene hohe Stückzahl in Deutschland mit um die 3 Millionen und dessen Kultstatus, besonders der der Schwalbe.
Fokus auf das große Ganze
Hinter dem Konzept von Carlo und Hector liegt viel mehr als der reine Umbau eines Mopeds. Den beiden Initiatoren ist besonders der Aspekt der Kreislaufwirtschaft als Teil der Nachhaltigkeit wichtig.
Oft wird der komplexe Begriff Nachhaltigkeit in drei Dimensionen unterteilt: die ökologische, ökonomische und soziale. Die Projektwerkstätte ”2nd Hand Mobilität” legt einen besonderen Schwerpunkt auf die ökologische Perspektive und beschäftigt sich damit, wie durch technologischen Fortschritt CO2-Emissionen eingespart werden können. Dahinter liegt das elementare Ziel, unser ökologisches System zu erhalten. Dies setzt einen schonenden Umgang mit Ressourcen voraus: Natürliche Lebensgrundlagen sollen nur in dem Maße genutzt werden, wie sie sich wieder regenerieren können.
Mir ist es wichtig, dass der Fokus nicht auf dem Moped, sondern auf dem Aspekt der Kreislaufwirtschaft liegt.
Bekannte unterstützende Konzepte hierzu sind unter anderem das Prinzip der Kreislaufwirtschaft, der Effizienz, der Konsistenz und der Vermeidung. Die Kreislaufwirtschaft hat dabei zum Ziel, möglichst wenige Abfälle zu produzieren, Produkte umweltverträglich zu entsorgen oder sie im besten Falle – wie bei der Projektwerkstatt “2nd Hand Mobilität” – zu recyceln. Bei der Reduzierung von eingesetzten Ressourcen spricht man von Effizienz und bei biologisch abbaubaren Gütern von Konsistenz. Ersetzt man bestimmte Güter oder Produktionsfaktoren durch regenerierbare Ressourcen, die dem gleichen Zweck nachkommen, kann dies als ein Konzept der Vermeidung verstanden werden.
Die Projektwerkstatt “2nd Hand Mobilität” setzt somit auf das Prinzip der Kreislaufwirtschaft, der Effizienz und dem Konzept der Vermeidung. Sie leistet hiermit einen ambitionierten und relevanten Beitrag für eine lebenswerte Zukunft.
Hintergrund zu den Projektwerkstätten an der TU Berlin
Die Projektwerkstatt von Carlo und Hector ist eine von vielen, die an der TU Berlin durchgeführt werden. Studierende können an diesen teilnehmen und wie bei regulären Kursen Leistungspunkte sammeln. Das besondere an diesem Format ist, dass es sich um studentisch organisierte Lehrveranstaltungen mit hohen Praxisbezug handelt. Jede*r Studierende*r mit einer Idee kann sich durch ein vorgelegtes Projektkonzept und den dazugehörigen Antrag bewerben und hierdurch eine Stelle als Tutor*in erlangen. Entscheidungskriterien zur Bewilligung des Projekts sind unter anderem die Interdisziplinarität, Nachhaltigkeit und Neuartigkeit des Vorhabens.
Weitere Infos zum Format der Projektwerkstätten findest Du hier und in diesem Video: