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Foto: Robert Richter

Auf den Spuren der Natur

Natur Struktur

Die Vielfalt der Natur ist überwältigend. Uralte Mammutbäume, farbenprächtige Blüten, tarnende Tierfellmuster – wirklich erstaunlich, welche Komplexität die Evolution immer wieder hervorbringt. Und mindestens ebenso erstaunlich, dass oft verblüffend einfache mathematische Prinzipien dahinterstecken. Dieser Gedanke fasziniert Dr. Robert Richter. Wer wie er mit offenen Augen durch die Welt läuft, entdeckt Mathematik in Bienenwaben, Schneeflocken oder Spinnennetzen – und sogar im Gemüseregal. Mit seinen Stationen im Futurium will er zeigen, wie effizient die Natur ist, welche Prinzipien dahinterstecken – und was wir uns von ihr für die Zukunft abgucken können.

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Foto: Robert Richter

Gut kopiert ist halb gewonnen

Auf den Spuren der Natur entwickelt Richter an der TU Berlin Experimente, die auch Nicht-Wissenschaftler*innen für die Naturwissenschaften begeistern sollen. „All die phänomenalen Farben, Formen und Muster um uns herum sind das Ergebnis natürlicher Prozesse. Oft sind sie spektakulärer als alles, was Künstler*innen sich je erträumen können. Bei Kristallen, zum Beispiel, macht die Anordnung der Atome viele geometrische Strukturen möglich: Würfel, Prismen, Dodekaeder und andere verrückte Formen.

Richtig spannend wird es aber in der Pflanzenwelt. Dort sind geometrische Zusammenhänge wie der Goldene Schnitt und der Goldene Winkel wirklich überall zu finden. Warum? Weil sich in der Evolution besonders effiziente Arten durchgesetzt haben, die genau diesen Prinzipien folgen.“ Prinzipien, die auf mathematischer Wiederholung beruhen. Wie Robert Richters erstes Exponat, das die weitverbreitete „Selbstähnlichkeit“ in der Natur nutzt.

Stroboeffekte für Kopfkino

Für das Futurium hat sich Richter von dem Künstler John Edmarks inspirieren lassen, dessen „Blooms“ aus simplen mathematischen Regeln wunderschöne optische Täuschungen zaubern. (Wer genauer wissen möchte, wie diese faszinierenden, spiralförmigen Muster in der Natur und der Kunst funktionieren, erhält in diesem Video spannenden Einblick.)

Genau wie Edmarks Blooms ähneln Richters Plastikskulpturen üppigen Blumen mit einer selbstähnlichen Struktur. Der besondere Trick: Sie drehen sich blitzschnell um die eigene Achse und werden bei jeder 137,5-Grad-Drehung, die dem Goldenen Winkel entspricht, kurz von einem Stroboskop angestrahlt. Aus dem Zusammenspiel von Drehung und Licht ergibt sich ein erstaunlicher optischer Effekt. Wie eine Computeranimation scheinen die Blooms miteinander zu verschmelzen.

Wenn Besucher die Geschwindigkeit des Stroboeffekts verändern, läuft die Animation schneller oder langsamer ab und Doppel- und Mehrfachbilder werden sichtbar. „Die Blooms funktionieren ähnlich wie die Wundertrommeln, die vor hundert Jahren auf Jahrmärkten ausgestellt wurden. Im Inneren der drehbaren Trommeln mit Schlitzen waren Bilder angebracht, die in schneller Abfolge einem kurzen Film zeigen. Unser Gehirn hat die Einzelbilder wie eine flüssige Bewegung interpretiert.“

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Warum hat der Leopard Flecken?

Und warum hat das Zebra Streifen? Dass die Natur auch in anderen Dingen ganz schön berechnend sein kann, zeigt Robert Richters zweites Experiment. Aus wenigen, einfachen Regeln und Variablen (hier: Kamerawinkel und Bildausschnitt) entstehen Schritt für Schritt extrem komplexe Strukturen, die schließlich an Giraffenfell oder Kugelfischmuster erinnern.

Alles, was Richter dafür braucht, ist ein leerer Bildschirm und eine Kamera. Der Bildschirm zeigt das Bild der Kamera. Wenn die Kamera auf den Bildschirm gerichtet wird, entsteht ein Loop. Dabei ist die Kamera leicht verdreht aufgestellt. Durch diesen simplen Rückkopplungsprozess können Besucher in Echtzeit erleben, wie sich benannte Muster aus der Natur allmählich durch Wiederholung herausbilden. Schon kleine Änderungen des Winkels oder der Ausschnittgröße ergeben z. B. Zebramuster oder Leopardenflecken. Wer mag, kann sich selbst als Designer versuchen und ganz neue Muster entstehen lassen.

Malen nach Zahlen

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Foto: Robert Richter

Wer lieber selbst Hand anlegt, kann an einem der aufgebauten Spirographen direkt erleben, wie allgegenwärtig der Goldene Winkel ist. Richters Zeichenhelfer erzeugen mathematische Kurven, die natürlichen Blüten ähneln. Jedes „Blütenblatt“ ist um die magischen 137,5 Grad verdreht und landet automatisch in der größten verbleibenden Lücke der „Blüte“ – ganz wie in der Natur. Und je mehr Zahnräder dabei im Spiel sind, desto näher kommt das Ergebnis dem Goldenen Schnitt. So lässt sich die Effizienz und Präzision der Natur, die oft so wild und spontan wirkt, besonders gut nachvollziehen.

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Foto: Robert Richter

Mitmischen lohnt sich

Wer diese Experimente selbst nachbauen möchte, muss gar nicht tief in die Trickkiste greifen. „Alles, was man für das Video-Feedback braucht, ist ein Monitor und eine Kamera. Am besten funktioniert es mit einem alten Röhrenfernseher, der keine automatische Bildkorrektur eingebaut hat“, ergänzt Richter. „Außerdem gibt es in fast allen großen Städten mittlerweile Fab Labs und Makerspaces. Dort kann man Lasercutter und 3-D-Drucker benutzen, um eigenen Projekte umzusetzen.“

Wer kein Stroboskop zur Hand hat, kann das Prinzip der „Blooms“ mit einer selbstgebastelten Wundertrommel nachstellen. Und für alle, die gern ein bisschen tiefer in die Wunderwelt der fraktalen (=selbstähnlichen) Geometrie abtauchen möchten, haben wir einen besonderen Tipp: Die „Fraktivitäten“ der Fractal Society machen wirklich Spaß.

Die Zukunft ist analog

Forscher und Entwickler sind sich einig: Die Effizienz der Natur ist kaum zu schlagen. Was sich durch evolutionäre Auslese über unzählige Generationen herausgebildet hat, ist aus gutem Grund so, wie es ist. Und davon können wir eine Menge lernen. Optimale Belichtung, stabile Bauten, effizienter Materialeinsatz: Die mathematischen Prinzipien von Selbstähnlichkeit, goldenem Winkel und Strukturbildung kommen uns nicht nur in der Architektur zugute. Die Natur zeigt uns auch, welche Alternativen es zu unserer digitalen Technologie gibt.

Robert Richter erklärt: „Das Videofeedback funktioniert z. B. wie ein analoger Computer. Die gezeigten Bilder und Veränderungen werden nicht digital aus Nullen und Einsen berechnet, sondern ergeben sich aus einfachen, fassbaren Konstanten – hier dem Kamerawinkel und Zoom. Fachleute glauben schon jetzt, dass solche analogen Computer in Zukunft noch viel komplexere Probleme lösen können, vor allem, um Wahrscheinlichkeiten zu berechnen.“