Leonhard Grill brachte ein Molekül zum Rollen

Was wäre, wenn man die Moleküle bewegt, wohin man will?

Moleküle sind die Grundbausteine des Lebens. Daher forschen viele Wissenschaftler*innen daran, was mit ihnen möglich ist. Einer von ihnen ist der Experimentalphysiker Leonhard Grill – der eine weltbewegende Entdeckung machte.

Leonhard Grill ist Professor an der Universität Graz und forscht dort an funktionalen Molekülen – also an Teilchen, die aus mehreren Atomen bestehen. „Es ist ein interessantes Thema“, sagt er – und untertreibt damit ein wenig. Denn Moleküle sind enorm wichtig; sie sind die kleinen Partikel, aus denen sich alles um uns herum zusammensetzt.

Ebenso wichtig ist deswegen die Forschung an ihnen und an molekularen Maschinen, also Molekülen die gezielt Arbeit verrichten können – und Grill ist einer der Experten auf diesem Gebiet. 2007 ist ihm auf genau diesem Gebiet ein Experiment geglückt: Er hat es geschafft, ein einzelnes Molekül auf einer Oberfläche kontrolliert zu rollen.

Wie gelang das Experiment?

Normalerweise springen Moleküle über sehr geringe Abstände von einem Gitterplatz des Kristallgitters auf der Oberfläche zum anderen, typischerweise angetrieben durch thermische Energie – doch Grill gelang es, ein Molekül zu rollen. Er „stupste“ es mit einem Rastertunnel-Mikroskop an. Das Stromsignal des Mikroskops wurde analysiert, bis die Forscher*innen das Muster einer Rollbewegung fanden. „Wir mussten einfach nur lange genug ausprobieren, bis wir das dafür genau passende Molekül gefunden hatten“, sagt Grill.

„Wir versuchten es mit verschieden strukturierten Molekülen. Ironischerweise war es gerade das kleinste und einfachste Molekül, mit dem es klappte.“ Doch während er zurückhaltend bleibt, überschlug sich damals die Presse. „Professor lässt Molekülräder rollen“, lautete die Schlagzeile, „Nanoräder können rollen“, eine andere, „Nanotechnology reinvents the wheel“, jubelte eine dritte.

Was ist durch das Ergebnis möglich?

Aber viel wichtiger als die Presseartikel war für Grill, was aus seinem gelungenen Experiment resultieren könnte. „Möglicherweise bewegen sich rollende Moleküle anders über Oberflächen als springende, vielleicht überwinden sie zum Beispiel Hindernisse – auf dem atomaren Maßstab natürlich! Außerdem haben Kolleg*innen aus der Synthesechemie in den letzten Jahrzehnten Weitergehendes entwickelt“, sagt er, „etwa Molekül-Motoren“. Diese Motoren schalten etwas aus, das sich mikroskopische Reversibilität nennt – also das grundlegende Prinzip, nach dem Prozess A immer auch von einem Prozess B begleitet wird, der in der Gegenrichtung abläuft. Wenn dieses Prinzip ausgeschaltet wird, rotiert zum Beispiel ein Seitenarm des Moleküls nur mehr in einer Drehrichtung, ähnlich wie ein Propeller. Sie bewegen sich nicht mehr in beide Richtungen. Auf einer Oberfläche können solche Moleküle dann eine Richtung in ihrer Bewegung einschlagen.

Für diese „Nanomaschinen" aus Molekülen gab es 2016 für drei Forscher aus Frankreich, Großbrittanien und den Niederlanden den Nobelpreis für Chemie. „Und man kann vielleicht noch viel mehr damit machen“, erklärt Grill, „denn was wäre, wenn man viele Moleküle gleichzeitig mit Licht steuert – und zum Beispiel auch noch etwas transportieren lässt?“.

Wann könnte es soweit sein?

Grill erklärt an einem Beispiel, wie bedeutsam das wäre: „Wenn man eine Aspirin-Tablette nimmt, verteilt sich der Wirkstoff überall im Körper und trifft irgendwann auf die Stellen, auf die er treffen soll, um zu wirken.“ Wenn man nun bestimmen könnte, wohin sich der Wirkstoff mittels molekularer Motoren bewegt und wann bestimmte mechanische Vorgänge des Moleküls ausgelöst werden, dann könnte er möglicherweise besser und schneller wirken.

„Das wäre eine unglaubliche Entwicklung, ein riesiger Fortschritt“, sagt Grill. „Erste Experimente unseres Kooperationspartners James Tour haben gezeigt, dass molekulare Maschinen durch ihre spezifische mechanische Bewegung Löcher in Zellmembranen bohren können.“ Eine andere Idee wäre es, einzelne Atome durch molekulare Motoren transportieren zu lassen und dadurch sehr kleine Strukturen aufzubauen, also eine gezielte „bottom-up“ Konstruktion. Doch bis es möglich ist, die Moleküle genau zu steuern und an die richtigen Stellen zu bringen, wird es noch dauern: „Eine Zeitskala kann man nicht angeben.“ Denn: „Wir wissen zwar, was wir irgendwann einmal wollen, wir kennen unser Ziel – aber es ist noch nicht klar, wie wir dorthin gelangen können.“

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Ein einzelnes Molekül lässt sich gezielt drehen: Forscher*innen der Uni Graz haben einen Mini-Rotor entwickelt.

Foto: L. Grill (Universität Graz) aus Grant Simpson et al., Nature Communications 10, 4631 (2019)