Bild: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication
Was uns die deutsche Revolution von 1848 für die Gegenwart und Zukunft lehrt
Am 18. März 1848 – vor genau 175 Jahren – gingen hunderte von Menschen in Berlin auf die Barrikaden – für demokratische Freiheitsrechte, für freie und gleiche Wahlen und ein gesamtdeutsches Parlament. Unsere Autorin Magali Mohr, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Strategie und Inhalte am Futurium, nimmt dieses Jubiläum zum Anlass und fragt, was können wir aus der Revolution für unsere Gegenwart und Zukunft lernen?
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Am 18. März 1848 versammelten sich hunderte von Menschen vor dem Berliner Schloss. Ihre Forderungen: die Einführung von demokratischen Grundrechten, freie und gleiche Wahlen, ein gesamtdeutsches Parlament. Als ihr friedlicher Protest vom preußischen Militär mit Gewalt begegnet wurde, entschlossen sich viele der Demonstrant*innen auf die Barrikaden zu gehen. Berlin Mitte wurde zum Schauplatz eines blutigen Straßenkampfs zwischen Militär und Revolutionär*innen. An diesem Tag, der später als Höhepunkt der liberal-demokratischen Revolution in die Geschichte eingehen würde, starben mehr als 250 Menschen.
Aber nicht nur wegen der hohen Opferzahlen sollte uns dieser Tag in Erinnerung bleiben. Er hatte auch eine entscheidende Bedeutung für die darauffolgenden Entwicklungen: es kam im Nachgang zu der ersten demokratischen Wahl in Deutschland – bei der allerdings nur die männliche Bevölkerung teilnehmen durfte – und der Einberufung des ersten gesamtdeutschen Parlaments, der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche.
Mit dem heutigen Jubiläum der Revolution lohnt sich auch ein genauerer Blick darauf, was das Vermächtnis der Revolution für unsere Gegenwart und Zukunft ist. Denn in Zeiten, in denen demokratische Grundrechte, wie Presse- und Versammlungsfreiheit, weltweit angegriffen werden, wirft das Revolutionsjubiläum Fragen auf, die aktueller nicht sein könnten. Müssen wir heute wieder für unsere demokratischen Grundrechte auf die Straße gehen, mehr für sie entstehen, Gesicht zeigen? Oder gibt es andere Wege, unsere demokratischen Zukünfte zu sichern?
Brauchen wir in Zukunft neue Grundrechte?
Die Demokrat*innen der ersten Stunde forderten Rechte ein, die noch heute grundlegende Bausteine liberaler Demokratien sind. Zu ihnen zählten Versammlungs-, Presse- und Religionsfreiheit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, und die Abschaffung der Todesstrafe und Folter. Noch heute sind diese Rechte in weiten Teilen der Welt alles andere als selbstverständlich. Sie müssen hart erkämpft oder vor Einschränkungen geschützt werden.
Brauchen wir angesichts drängender Herausforderungen wie dem Klimawandel, neuer Technologien, dem demografischen Wandel und einer wachsenden Schere zwischen Arm und Reich für die Zukunft nicht neue Grundrechte? Braucht es zum Beispiel ein Recht auf ein ökologisches Existenzminimum? Oder zum Schutz unserer Ökosysteme Rechte für nicht-menschliche Lebewesen, wie Tiere, Wälder oder Flüsse? Und wie können wir angesichts der großen Ungewissheit, die die Zukunft mit sich bringt, solche langfristig angelegten Grundrechte formulieren?
Kann Nationalismus in Zukunft wieder eine demokratiefördernde Kraft entwickeln?
Vor 175 Jahren entwickelte die noch recht junge Idee der Nation eine demokratiefördernde und einende Kraft. Wie die Historikerin Prof. Dr. Hedwig Richter in ihrem Buch „Demokratie – Eine deutsche Affäre“ (2020) schreibt: „Die Nation wirkte als Gleichmacherin“, sie war eine der treibenden Kräfte hinter der Demokratisierung. Heute hingegen spaltet und polarisiert Nationalismus oder gefährdet in seiner extremen Ausprägung sogar unmittelbar unsere Demokratien durch Hass, Hetze, und Ausgrenzung von Minderheiten oder Andersdenkenden. Trotzdem bilden Nationalstaaten das Fundament unserer globalen Ordnung, in ihnen sind Demokratien verfasst – was bedeutet das für die Zukunft von Demokratien und mit ihnen von Nationalstaaten? Die globale Dimension der Zukunftsherausforderungen, mit denen Demokratien konfrontiert sind, wirft diese Frage in ganz neuer Dringlichkeit auf.
Die Revolution von 1848 scheiterte. Statt in einer Demokratie mündete sie in einer Phase der Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse. Die Ziele der Revolutionär*innen gingen weit auseinander. In der Nationalversammlung in Frankfurt waren Demokraten (nur Männer nahmen Teil) die Minderheit. Die Mehrheit der Liberalen und die Konservativen strebten keine auf Volkssouveränität basierende Republik an. Sie wollten eine konstitutionelle Monarchie mit einem erblichen Kaiser, der eine starke Position behalten sollte. Diese Zerstrittenheit und die lang andauernden Verhandlungen führten letztlich dazu, dass der Unmut der Bevölkerung gegenüber den Abgeordneten wuchs und die Fürsten wieder ihre Macht zurückgewinnen konnten. Ein endgültiges Ende fand die Revolution dann, als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm vom Parlament angebotene Kaiserkrone ablehnte, da er es als Beleidigung empfand, eine Krone von „normalen Bürgern“ zu erhalten und nicht – wie es sich nach seinem Verständnis gehörte – diese „von Gott“ zu erhalten.
Welche Schlüsse können wir aus dem Ende der Revolution für unsere Gegenwart und Zukunft ziehen? Demokratie lebt vom Streit und der Aushandlung – oder wie es schon der liberale Vordenker Ralf Dahrendorf formulierte – „Demokratie ist institutionalisierter Streit“. Aber um letztlich zu mehrheitsfähigen Entscheidungen zu kommen und um sich vor Angriffen von antidemokratischen Kräften zu schützen, brauchen demokratische Gesellschaften auch einen gemeinsamen Nenner. Insbesondere in der Corona-Krise oder in Debatten rund um Klimapolitik zeigt sich, dass auch in Deutschland die soziale Spaltung zugenommen hat. Aber um die Demokratie zu schützen, braucht es auch ein Grundmaß an gesellschaftlichem Zusammenhalt. Ohne ihn machen wir uns angreifbar gegenüber denjenigen, die sie zu unterwandern versuchen. Das Scheitern der Revolution mahnt uns deshalb auch im Kontext heutiger hitziger politischer Debatten unseren kleinsten gemeinsamen Nenner, unser aller Wunsch nach einem freien und selbstbestimmten Leben, trotz aller Unterschiedlichkeiten nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Barricade an der Kronen- und Friedrichstraße am 18. März von einem Augenzeugen
Bild: F. G. Nordmann – Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International
Selbst das Scheitern der Revolution konnte das demokratische Gedankengut nicht zunichte machen
Die Revolution von 1848 zeigt aber auch, dass selbst ihr Scheitern das demokratische Gedankengut nicht zunichte machen konnte. Die Erfahrungen der Massenproteste und Versammlungen, die Vision eines geeinten Deutschlands und der Wunsch nach Freiheit und Gleichheit überlebten – auch wenn es noch 70 Jahre dauern sollte, bis die erste demokratische Verfassung in Deutschland (die Verfassung der Weimarer Republik in 1919) tatsächlich verabschiedet wurde. Angesichts der aktuell angespannten Lage von Demokratien weltweit stimmt das zumindest mit Blick auf die Zukunft hoffnungsvoll. Und auch die Tagespolitik bestätigt das – seien es die immer wieder aufflammenden Proteste im Iran, in Russland oder die unglaubliche Ausdauer und beeindruckende Entschlossenheit mit denen die Menschen in der Ukraine dem russischen Angriffskrieg Widerstand leisten. Die demokratische Lebensform hat auch heute nicht an Überzeugungskraft verloren und all unser Respekt sollte denjenigen gelten, die heute unter Einsatz des eigenen Lebens für sie kämpfen.
Zu guter Letzt ruft uns ein Blick auf die Ereignisse von 1848 auch wieder in Erinnerung, wie viel wir mit unseren europäischen Nachbarn gemeinsam haben; wie sehr unsere Vergangenheiten sich ähneln und welche Werte wir teilen. Denn die Revolution von 1848 war nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische Revolution. Ausgehend von Frankreich, erfasste das Revolutionsgeschehen fast ganz Mitteleuropa – neben dem Deutschen Bund auch Italien, Polen und Ungarn. Durch das noch neue Schienennetz und die zunehmende Verbreitung von Zeitungen wurden die Ereignisse in den benachbarten Ländern von einer breiten Masse mit Neugierde verfolgt. Revolutionäre unterschiedlicher Länder standen im Austausch miteinander. Zwar waren die Forderungen der Revolutionär*innen stark von Nationalismus und ihren Bestrebungen nach einem Nationalstaat geprägt, jedoch kämpften sie alle für die gleichen Freiheits- und Menschenrechte. Historiker*innen sprechen daher im Kontext der Revolutionen auch von der erstmaligen Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit. Die Revolution von 1848 kann uns daher auch erinnern, wie wichtig es für die Zukunft der Demokratie ist, die Herausforderungen unserer Zeit aus einer europäischen, wenn nicht gar aus einer globalen Perspektive anzugehen.