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Foto: Bernard Hermant/Unsplash

Denkraum Mensch

Warum wir konsumieren

Sechs Gründe für den Konsumhunger unserer Gesellschaft.

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1) Politik

Mehr Konsum bedeutet mehr wirtschaftliches Wachstum – und in den meisten Volkswirtschaften ist wirtschaftliches Wachstum eines der politischen Hauptziele. Es wird mit dem Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen. Ein Wachstum des BIP von mehr als zwei Prozent pro Jahr wird angestrebt. Denn: Wachstum gilt im Wettbewerb zwischen Staaten als ein Maßstab für die Machtposition eines Landes. Je mehr Wachstum ein Staat vorzuweisen hat, desto mächtiger erscheint er im internationalen Vergleich. Doch nicht nur außenpolitisch ist ein möglichst hohes Wachstum für die Politik wichtig, auch innenpolitisch ist es nützlich, weil es für Arbeitsplätze sorgen soll und dadurch zur Zufriedenheit der Bürger*innen beiträgt. Bliebe das Wachstum dauerhaft aus, könnten Arbeitsplätze entfallen, die staatlichen Sozialkassen würden stärker beansprucht und so müsste die umstrittene Frage nach einer veränderten Verteilung von Vermögen zwischen Arm und Reich durch die Politik angegangen werden.

2) Unternehmen

Fast alle Unternehmen möchten Profit machen. Dabei sind sie einem harten Wettbewerb ausgesetzt. Für die meisten Firmen ist die Lösung: Wachsen, um auf dem Markt mithalten zu können. „Ohne die fortschreitende Steigerung der Arbeitsproduktivität lässt sich kapitalistisches Gewinnstreben letztendlich nicht realisieren“, befand der Soziologe Klaus Dörre. Auch die Wissenschaftler Oliver Richters und Andreas Siemoneit haben festgestellt, dass die Entscheidung zwischen Wachstum und Nicht-Wachstum in den meisten Fällen nicht frei sei, sondern systematisch und massiv in Richtung Investment und damit Wachstum ausgerichtet sei.

3) Gesellschaft

Nicht nur Unternehmen und Staaten befinden sich im konstanten Wettbewerb miteinander – auch bei den Menschen untereinander ist es so: Wir vergleichen uns miteinander und wollen besser sein als die anderen. Ein Gefühl von Wettbewerb und sozialem Druck entsteht. Dies beeinflusst unsere Konsumentscheidungen: Wir betreiben dann „Statuskonsum“, kaufen also Dinge, die unseren Status nach außen kommunizieren sollen: Autos, Smartphones oder Designer-Markenkleidung zum Beispiel. Der Volkswirt Professor Reinhard Loske stellt fest: „In Gesellschaften mit großen Einkommensunterschieden ist der Wachstumsdruck deutlich höher, weil die Orientierung [...] sich stets auf die „da oben“ richtet“. [1] Doch selbst, wenn wir all das haben, kaufen wir noch mehr. Die Maßstäbe für das, was wir als "normal" empfinden, verschieben sich mit unserem wachsenden Wohlstand – ob von einer Generation zur nächsten oder innerhalb einer Lebensspanne.

4) Geldsystem

Auch die Finanzbranche setzt auf konstantes Wachstum und steigenden Konsum – denn genau das ist nötig, um weiterhin das momentane Geld- und Zinssystem aufrecht erhalten zu können. Denn wenn sich jemand Geld bei einer Bank leiht, muss er dafür Zinsen zahlen. Damit der Kreditnehmer diesen Zinsbetrag an die Bank geben kann, muss er ihn erwirtschaften und somit mehr Geld als vorher haben. Das funktioniert nur über Wachstum.

5) Fortschritt

Durch verbesserte Technologien und Prozesse können immer mehr Produkte in kürzerer Zeit hergestellt werden. Sind die Rohstoffe für die Herstellung zudem günstig verfügbar, können die Waren billig angeboten werden. Der Konsum steigt. Mehrere Wissenschaftler*innen haben bereits auf den Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt, günstigen Ressourcen und Wirtschaftswachstum hingewiesen, näher untersucht wurde es bisher aber nicht.

6) Alltag

Wir alle haben unsere Routinen: Wir trinken morgens immer Kaffee, kaufen dasselbe Waschmittel, nehmen den gleichen Weg zur Arbeit – alles bleibt beim Alten. Allerdings ist in diesen Routinen Konsum fest verankert und sie sind meist von der Vorstellung des "Immer mehr" bestimmt. Wir sind darauf gepolt, dass Wachstum notwendig und gleichbedeutend mit Erfolg, Reichtum, Sicherheit und Fortschritt ist. Selbst wenn wir diese Gewohnheiten abstreifen wollten, stoßen wir im Alltag oft auf Hürden, die uns zu mehr Konsum verleiten. Durch geringere Steuern kostet uns ein Flugticket zum Beispiel oft weniger als die umweltfreundlichere Fahrt mit der Bahn. Oder eine Haltestelle für Bus und Bahn fehlt gleich ganz in der Nähe – also kaufen wir ein Auto für tägliche Fahrten.