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Vertical Farming: Landwirtschaft neu gedacht
In Zeiten knapper Ressourcen, wachsender Städte und globaler Krisen steht die Landwirtschaft vor enormen Herausforderungen. Eine mögliche Antwort darauf könnte Vertical Farming sein – der mehrstöckige Anbau von Pflanzen unter kontrollierten Bedingungen in geschlossenen Räumen.

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Was für manche*n nach futuristischer Vision klingt, ist längst Gegenstand ernsthafter Forschung. Sebastian Eichelsbacher, Agrarwissenschaftler an der Technischen Universität München, beschäftigt sich mit der Frage, wie effizient und nachhaltig diese Form des Anbaus tatsächlich ist – und ob sie das Zeug dazu hat, unsere Landwirtschaft grundlegend zu verändern.
Sebastian Eichelsbacher arbeitet am Lehrstuhl für Digitale Landwirtschaft und beschäftigt sich mit dem Thema Indoor Farming. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf Vertical Farming. Dabei untersucht er, wie hoch der Ertrag von Pflanzen – vor allem von Weizen – unter idealen Bedingungen sein kann, also ohne Einschränkungen beim Wachstum und der Entwicklung der Pflanzen.

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„Im Prinzip bauen wir eine Umgebung, in der Pflanzen unter optimalen Bedingungen wachsen können – unabhängig vom Wetter, vom Boden oder der Jahreszeit“, erklärt Eichelsbacher. Licht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO₂-Gehalt, Wasser und Nährstoffe werden präzise gesteuert. Möglich machen das hydroponische Systeme, in denen Pflanzen nicht mehr im Boden wurzeln, sondern ihre Nährstoffe aus einer Wasserlösung beziehen.
Effizient, platzsparend, aber energieintensiv
Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Wasserverbrauch ist deutlich geringer als in der konventionellen Landwirtschaft, Pestizide werden überflüssig, und durch den Anbau direkt in oder nahe an urbanen Zentren entfallen lange Transportwege. „Für hochwertige Kulturen wie Salate, Kräuter oder bestimmte Obstsorten ist Vertical Farming besonders interessant“, so Eichelsbacher. „Tomaten oder Erdbeeren lassen sich dort hervorragend kultivieren.“
Doch nicht alle Pflanzen sind gleichermaßen geeignet. Eichelsbacher arbeitet an einem besonderen Forschungsprojekt mit Zwergweizen, einem Grundnahrungsmittel, das in fast allen Teilen der Welt angebaut wird. „Gerade weil Weizen so global relevant ist, wollen wir wissen, wie er sich unter idealen Bedingungen entwickelt – was ist pro Fläche und Zeit maximal möglich?“ Das Ergebnis: In einem Jahr lassen sich bis zu fünf bis sechs Ernten einfahren. Auf mehreren übereinander gestapelten Anbauflächen kann so der Ertrag gegenüber dem Feldanbau um das Hundertfache steigen.
Durch den Anbau auf mehreren übereinander liegenden Ebenen lässt sich der Ertrag im Vergleich zum herkömmlichen Feldanbau um ein Vielfaches – bis zu hundertmal – steigern.
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Allerdings hat diese Produktivität ihren Preis – und der heißt Energie. Pflanzen benötigen Licht, und das kommt in Indoor-Farmen fast ausschließlich aus stromintensiven LED-Lampen. Deshalb arbeiten Eichelsbacher und sein Team auch daran, die Lichtnutzungseffizienz der Pflanzen zu verbessern. Ziel ist es, genau die Lichtmenge zur exakt richtigen Zeit zu geben – und Strom möglichst dann einzusetzen, wenn er günstig und im Überfluss vorhanden ist.
Zwischen Hype und Realität
Die ersten Versuche, Vertical Farming kommerziell zu betreiben, verliefen in Europa und den USA oft enttäuschend. Viele Start-ups verschwanden so schnell vom Markt, wie sie gekommen waren. „Viele Konzepte waren nicht ausgereift. Oder die Betreiber haben nicht zu Ende gedacht, wie das Produkt eigentlich vermarktet werden soll“, sagt Eichelsbacher. Auch die Frage, ob man als Unternehmen Landwirt oder Anlagenbauer sein will, blieb oft unbeantwortet – beides gleichzeitig zu stemmen sei kaum realistisch.
Doch die Technologie hat das berüchtigte „Tal der Tränen“ mittlerweile durchschritten. Heute geht es darum, stabile Geschäftsmodelle zu entwickeln – mit klar definierten Produkten und effizienter Technik. „Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren die ersten Vertical-Farming-Konzepte sehen, die langfristig tragfähig sind – vielleicht zunächst in Nischen, aber dafür wirklich nachhaltig“, so Eichelsbacher.
Blick in die Zukunft
Neben technischer Effizienz und wirtschaftlicher Tragfähigkeit spielt auch die gesellschaftliche Akzeptanz eine Rolle. Zwar sei das Wissen in der breiten Bevölkerung noch gering, so Eichelsbacher, doch Besucher*innen der Versuchsanlagen zeigten sich meist offen und beeindruckt. „Viele sind überrascht, dass Pflanzen überhaupt ohne Erde wachsen können – und dass das Endprodukt genauso gut ist wie das vom Feld.“
Tatsächlich unterscheidet sich der Indoor-Weizen im Geschmack und in der Verarbeitung kaum vom herkömmlichen. Unterschiede zeigen sich eher im Detail: „Wir können gezielt auf bestimmte Inhaltsstoffe wie Protein oder Mikronährstoffe hinzüchten“, erklärt er.
Die Pflanzen beziehen ihre Nährstoffe aus einer Wasserlösung.
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Am Ende könnte Vertical Farming nicht nur helfen, landwirtschaftliche Flächen zu entlasten, sondern auch zur Ernährungssicherheit beitragen. „Weizen ist ein hochpolitisches Lebensmittel. Sein Preis hat schon mehrfach politische Unruhen ausgelöst. Wenn wir unabhängiger von Klima und Geografie produzieren können, wäre das ein riesiger Schritt.“
Ob Vertical Farming also die Landwirtschaft revolutionieren wird? Noch ist es zu früh für ein endgültiges Urteil. Doch in den Forschungslaboren wächst längst die Idee einer neuen, ressourcenschonenden Landwirtschaft – Zentimeter für Zentimeter.