Roxana Samadi ist Schauspielerin und Filmemacherin und lebt in Berlin. Im Futurium mimt sie die Demokratie. Foto: Ludmilla Ostermann
„Uns ist nicht klar, dass eine Demokratie auch zerbrechlich ist“
Roxana Samadi ist Schauspielerin. Zu sehen ist sie in der Serie „Para – Wir sind King“, zu hören als Findus‘ Stimme in den Film-Abenteuern von Peterson und Findus. In der Ausstellung im Futurium verkörpert sie die Demokratie, die in den Austausch mit Besucher*innen geht. Redakteurin Ludmilla Ostermann hat mit ihr über politische Verantwortung gesprochen, über die Bedeutung von Empathie und darüber, wie alle Menschen über Grenzen hinaus miteinander verbunden sind.
Roxana Samadi ist Schauspielerin und Filmemacherin und lebt in Berlin. Im Futurium mimt sie die Demokratie. Foto: Ludmilla Ostermann
Würdest du sagen, dass du ein politischer Mensch bist?
Roxana: Ich bezeichne mich ungern als politisch. Als Teil der Gesellschaft sind wir es automatisch. Auch nicht-politisch sein ist politisch. Ich bin aktiv, aber keine Aktivistin. Mir ist bewusst, dass ich aktiv Teil dieser Gesellschaft bin und versuche, sie mitzugestalten. Ich versuche, wahrzunehmen, ein Spiegel zu sein und menschlich zu handeln.
Bietet sich das in der Schauspielerei oder Filmemacherei eher an als in anderen Lebensbereichen?
Roxana: Ja, denn ich darf ein Spiegel sein und ohne zu urteilen. In unserer heutigen Welt tun wir dies viel zu oft, und das Schöne ist, dass man das Urteilen in der Kunst allgemein herausnehmen und sich hinter die Sache stellen kann. Wenn ich spiele, kann ich in Rollen eintauchen, die mir eigentlich unbekannt sind. Dadurch entwickle ich Empathie für Menschen, Strukturen und Hintergründe, die mir eigentlich nicht vertraut sind. Auf einmal mache ich sie mir zu eigen und betrachte die Welt mit anderen Augen. Ich nehme Menschen anders wahr, weil ich sie aus den gespielten Rollen wiedererkenne und verstehe.
Im Kern geht es ums Menschsein.
Denkst du an eine bestimmte Rolle?
Roxana: In der Serie "Para – Wir sind King" kommen die Mädels aus einem sozial anderen Hintergrund als ich persönlich. Ich komme aus dem sehr privilegierten Köln-Klettenberg, das total weiß ist. Das ist mir aber auch erst jetzt bewusst geworden, seitdem ich in Berlin wohne. Im Tatort habe ich mal eine Schwangere gespielt, mich intensiv mit der Schwangerschaft auseinandergesetzt und habe jetzt ein ganz anderes Verständnis dafür, was das bedeutet.
Als Filmemacherin produzierst du gerade einen Dokumentarfilm über die feministische Revolution im Iran. Erzähl doch mal!
Roxana: Ich habe neun Protagonistinnen ein Jahr lang begleitet und gehe der Frage nach, wie es sich anfühlt, aus dem Exil heraus eine Revolution zu beobachten und mitzugestalten. Das, was hier in Deutschland passiert, ist einmalig und der Dialog zwischen außen und innen war existenziell wichtig für die Bewegung. Die Energie ist förmlich übergesprungen, denn wenn der Protest im Iran lauter wurde, schwappte dies zu uns herüber und es wurde auch hier lauter. Das zeigt: Wir sind alle miteinander verbunden, und Menschlichkeit hört nicht an einer Grenze auf, die vielleicht auch im Kopf gezogen wurde. Der Leitspruch der feministischen Bewegung ist "Frau, Leben, Freiheit" – ein universeller Code für Freiheit und Gleichberechtigung überall auf der Welt, egal ob im Iran, in Afghanistan, Palästina oder woanders. Das hat mich so tief berührt, dass ich das einfangen habe und für alle zugänglich machen will. Denn im Kern geht es ums Menschsein.
In der Ausstellung im Futurium personifizierst Du die Demokratie. Musstest du lange überlegen, bevor du die Rolle angenommen hast?
Roxana: Ich habe mich sehr über die Anfrage gefreut, denn ich finde es wichtig, in den Dialog zu gehen, Fragen zu stellen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Das eben macht die Ausstellung im Futurium. Dort wird ohne zu urteilen geschaut, welche Zukünfte es geben könnte. Dabei werden alle aktiv einbezogen. Das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung.
Bitte um mehr Freundlichkeit ist schon ein Privileg.
Wann hast du zuletzt von deinen demokratischen Rechten Gebrauch gemacht?
Roxana: Heute Morgen! Ich habe meine Tante zum Bahnhof gefahren, und es ergab sich eine absurde Situation: In meiner App stand, ihr Zug falle aus, am Gleis war er aber noch angezeigt. Ich habe dann eine Schaffnerin nett gefragt, was wohl stimme. Sie hat sofort unfreundlich reagiert und ist gar nicht auf mich eingegangen. Daraufhin habe ich sie angesprochen und gefragt, warum sie so unfreundlich sei und mir die Frage nicht auch freundlicher beantworten könne. Im Iran würde ich dafür wahrscheinlich im Krankenhaus landen. Wenn du dort eine Autorität hinterfragst, bekommst Du ein Problem. Da ist mir aufgefallen, dass diese kleine Bitte um mehr Freundlichkeit schon ein Privileg ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich im Iran diese Frage stellen kann, ohne mein Leben zu riskieren.
Welche Rechte und Freiheiten sind dir besonders wichtig?
Roxana: Die Meinungsfreiheit. Allerdings müssen wir verstehen, dass dieses Recht mit der Verantwortung einhergeht, Meinungen zu hinterfragen und ihren Ursprung zu begreifen. Warum sind im Osten die rechten Stimmen so laut? Diese Fragen müssen gestellt werden. Denn wenn wir von einer Demokratie sprechen, ist das nicht etwas, was vom Himmel gefallen ist, sondern wofür gekämpft wurde. Weil es uns so gut geht, ist uns nicht klar, dass eine Demokratie auch zerbrechlich ist. Es liegt in unserer Verantwortung, die Demokratie zu pflegen. Das muss auch in der Schule früher und stärker vermittelt werden, damit keine Gleichgültigkeit entsteht. Mit Meinungsfreiheit verbinde ich auch ein aktives Sehen und Gesehen. Ich muss in der Lage sein, andere Meinungen wahrzunehmen und vielleicht für die Menschen, die mir am fernsten sind, Empathie zu entwickeln.
Welche Gefahren siehst du für die Demokratie?
Roxana: Frust durch das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Dadurch entstehen Prinzip-Wählerinnen. Und diese Gleichgültigkeit finde ich gefährlich.
Wir können noch viel voneinander lernen – von der Erfahrung der Alten und der Frische der Jungen.
Wie können junge Menschen besser eingebunden werden?
Roxana: Menschen in Führungspositionen sollte klar sein, dass die Zukunft in den Händen der jungen Menschen liegt. Es fehlt da an einem Dialog zwischen den Generationen. Wir können noch viel voneinander lernen – von der Erfahrung der Alten und der Frische der Jungen. Das findet meiner Meinung nach zu wenig statt. Und ich wünsche mir mehr aktive Mitgestaltungsmöglichkeiten, die über Fridays for Future hinausgehen. Wenn ein Verständnis dafür vermittelt wird, dass wir alle miteinander verbunden sind, kommen wir in eine Position, in der wir uns viel früher aktiv einbringen können.
Haben demokratische Prozesse dich im Leben beeinflusst?
Roxana: Mich beeinflusst seit einem Jahr ein demokratischer Prozess, der im Iran. Ich sitze hier im Privileg und darf die Stimme dieser Bewegung sein. Das begleitet mich tagtäglich. Das empfinde ich als meine Verantwortung. Ich bin losgezogen und habe angefangen zu drehen, aus einem Bedürfnis heraus, eine Emotion einzufangen. Ich habe dann irgendwann einen Editor gesucht, und dieses Gefühl ist auf ihn übergeschwappt. Dabei hat mein Editor gar nichts mit dem Iran zu tun; er ist Russe. Er findet aber die Geschichte der Russen darin wieder, und nun ist der Film auch sein Herzensprojekt.
Am Ende des Interviews spricht uns eine Tischnachbarin an. Sie habe unser Gespräch mit einem Ohr mitgehört und sei von Roxanas Worten berührt. Die junge Frau berichtet von einer Theateraufführung zur feministischen Revolution, die sie vor einem Jahr besucht hat, und davon, dass sie dabei mit einem Gefühl der Ahnungslosigkeit konfrontiert war. Sie habe wenig gewusst über die Gesellschaft im Iran. Roxana wischt das schlechte Gewissen beiseite: „Das ist aber so wichtig, dass du dich dafür interessierst und begreifst, dass du auch Teil des Ganzen bist. Mich hat es immer so gefreut, Menschen wie dich auf den Events zu sehen.“ Roxana lächelt: „Und ich habe gerade noch davon gesprochen, dass alles mit allem verbunden ist und Wellen schlägt.“ Und sei es nur zum Nachbartisch.