Eine Ackerfläche mit Bäumen im Hintergrund

Katrin Böhning-Gaese über Landwirtschaft und Naturschutz und warum die Landwende unausweichlich ist

Landnutzung im Wandel: Zwischen Artenvielfalt und Ertrag

Land-Sparing oder Land-Sharing? Wie lassen sich Naturschutz und Nahrungsmittelproduktion vereinbaren? Und was steckt eigentlich hinter dem Begriff „Landwende“? Über diese und weitere Fragen haben wir mit Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese gesprochen – Biologin, Ornithologin und Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ).

Was sind die größten Herausforderungen im Naturschutz?

Katrin Böhning-Gaese: Da sehe ich zwei: Erstens die zunehmenden Landnutzungskonflikte. Für jede Fläche stellt sich die Frage, ob sie der Natur überlassen oder für Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder Energiegewinnung genutzt wird. Weil Land begrenzt ist und die Ansprüche wachsen nehmen diese Konflikte spürbar zu. Auch geht es um die Umsetzung von Naturschutz vor Ort. Vorgaben von oben reichen nicht mehr – gefragt sind Lösungen, die vor Ort entwickelt werden. Das ist mühsam, aber notwendig.

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft im Naturschutz?

Böhning-Gaese: Etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt – als Äcker, Wiesen oder Weiden. Damit kommt der Landwirtschaft beim Naturschutz eine Schlüsselrolle zu: In traditionellen Kulturlandschaften ist das besonders sichtbar. An der Rhön haben offene Weideflächen für Rhönschafe seit jeher eine artenreiche Landschaft bewahrt. Die Fließlandschaft des Spreewaldes dient zugleich dem Gemüseanbau – etwa den berühmten Spreewaldgurken – und dem Tourismus. Auch in der intensiven Nahrungsmittelproduktion lässt sich Naturschutz umsetzen – entscheidend ist, wie Landwirtschaft betrieben wird. Ökolandbau fördert Biodiversität stärker, aber auch in der konventionellen Landwirtschaft kann die Artenvielfalt erhöht werden.

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese ist Biologin, Ornithologin und Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ).

Ein Porträtfoto von Katrin Böhning-Gaese

Foto: Sebastian Wiedling

Wie kann das im konventionellen Anbau klappen?

Böhning-Gaese: Ein gutes Beispiel ist das F.R.A.N.Z.-Projekt, an dem auch der Deutsche Bauernverband beteiligt ist. Es zeigt, dass mit einfachen Maßnahmen – etwa Blühstreifen, Hecken, Brachflächen oder offenen Wasserläufen – die Biodiversität auch im konventionellen Anbau steigen kann. Teilweise reichen wenige Jahre, um spürbare Effekte zu erzielen. Im Getreideanbau können sogenannte „Lerchenfenster“ Arten wie die Feldlerche Lebensraum bieten. Entscheidend ist, dass Maßnahmen an die örtlichen Bedingungen angepasst werden.

Wie stehen Sie zu den Konzepten „Land-Sparing“ und „Land-Sharing“ und was genau versteht man darunter?

Böhning-Gaese: Sowohl Land-Sparing – also die Trennung von Naturschutz- und Produktionsflächen – als auch das Land-Sharing, bei dem beides auf derselben Fläche stattfindet, sind notwendig. Die häufige Gegenüberstellung greift daher zu kurz. Wir brauchen produktive Landwirtschaft, um die Ernährung zu sichern. Das zeigte zuletzt der Ukraine-Krieg, als der Einbruch der dortigen Getreideproduktion sofortige Engpässe verursachte. Zugleich müssen wir die biologische Vielfalt im Blick behalten – nicht nur aus ethischer Verantwortung, sondern auch aus Eigeninteresse: Fruchtbare Böden, stabile Ökosysteme und Artenvielfalt sind die Basis jeder langfristigen Nahrungsmittelproduktion.

Viele Landwirt*innen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Welche Rolle spielen Landwirt*innen konkret im Naturschutz?

Böhning-Gaese: Landwirt*innen halten einen großen Teil der Lösung in der Hand – oder unter dem Pflug. Wie sie ihre Flächen bewirtschaften, entscheidet über den Zustand der biologischen Vielfalt. Viele Landwirt*innen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Doch sie stehen unter großem Druck: ökonomisch, durch Bürokratie, und zunehmend auch strukturell – viele Betriebe finden keine Nachfolger. Häufig gehört ihnen das Land nicht einmal selbst, sondern ist gepachtet. Zudem wirken Subventionen oft kontraproduktiv, weil sie eher Besitz als Leistung belohnen.

Was müsste sich politisch ändern?

Böhning-Gaese: Ein zentraler Hebel ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU, über die Deutschland jährlich rund 7 Milliarden Euro bezieht. Derzeit fließen diese Gelder größtenteils nach Fläche – große Betriebe profitieren, kleine bekommen weniger. Wissenschaftliche Gremien fordern, diese Mittel stärker an Gemeinwohlleistungen zu koppeln – also etwa Biodiversitäts-, Klima- oder Gewässerschutz. Es gibt praxistaugliche Vorschläge, auch aus der Landwirtschaft selbst, wie man dies einfach umsetzen könnte.

Der Gesellschaft fehlt oft das Bewusstsein für diesen Zielkonflikt – weil Supermarktregale noch gefüllt sind.

Was bedeutet der Begriff „Landwende“ – und warum ist er so unbekannt?

Böhning-Gaese: Die „Landwende“ beschreibt den notwendigen Wandel in der Nutzung unserer Flächen. Der Begriff wurde vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) geprägt. Land ist eine begrenzte und zunehmend umkämpfte Ressource und anders als die Energie nicht in kurzer Zeit vermehrbar. Dennoch fehlt in der Gesellschaft oft das Bewusstsein für diesen Zielkonflikt – weil Supermarktregale noch gefüllt sind. Doch steigende Preise bei Kakao, Olivenöl oder Orangen zeigen bereits heute die Folgen klimabedingter Produktionsrückgänge.

Was kann jede*r Einzelne tun?

Böhning-Gaese: Naturschutz beginnt im Kleinen – auf dem Balkon oder im Garten: Blühpflanzen wie Lavendel oder Salbei, einheimische Gehölze, wilde Ecken statt englischer Rasen schaffen Raum für Insekten und Vögel. Entscheidend ist auch unser Konsum: Eine pflanzenbasierte Ernährung reduziert den Flächendruck enorm – für ein Kilogramm Rindfleisch braucht es bis zu 160-mal mehr Fläche als für ein Kilogramm Kartoffeln. Wer Fleisch isst, sollte regional gehaltene Weidetiere wählen. Und: Lebensmittelverschwendung vermeiden – auch das ist aktiver Naturschutz.