Eine Person steht im Sonnenuntergang am Strand und blickt in die Ferne

„Anpassung findet nicht in den Ministerien statt – sondern in der Gemeinschaft“

Wie gelingt Anpassung an den Klimawandel im Alltag – jenseits von Zahlen und Appellen? Professorin Beate Ratter ist Geografin und Klimaforscherin. Sie forscht im Rahmen des Exzellenzclusters CliCCS (Climate, Climatic Change, and Society) an der Universität Hamburg unter anderem zur Wahrnehmung von Naturereignissen und Klimaanpassung. Sie erklärt im Gespräch mit Ludmilla Ostermann, warum Routinen und gemeinschaftliche Erlebnisse entscheidend sind – und weshalb echte Anpassung von unten beginnt.

Die Vereinten Nationen haben gerade gemeldet, dass die Erde bis Ende des Jahrhunderts um 2,8 Grad wärmer werden könnte. Zahlen wie diese sind abstrakt. Welche Wirkung haben solche Daten auf Menschen – lösen sie überhaupt ein Bewusstsein für das Problem aus?

Beate Ratter: Das ist tatsächlich ein zentrales Problem. Nicht nur Zahlen, sondern auch Begriffe wie „Klimawandel“ sind abstrakt und wenig greifbar, sie lösen bei vielen Menschen inzwischen fast Aversion aus – oder zumindest keine persönliche Betroffenheit. Wir schaffen eine psychologische Distanz: Wir betrachten den Klimawandel eher als ein fernes Phänomen, das andere betrifft – zum Beispiel Überschwemmungen in Bangladesch oder brennende Wälder in Kalifornien – und nicht uns selbst. Dass Klimawandel uns betrifft und dass wir handeln können, fällt schwer zu vermitteln. Das ist eine große psychologische Herausforderung, der wir begegnen müssen.

Mit Klimawandelanpassung erkaufen wir uns Zeit, mit nachhaltiger Anpassung und Resilienz erarbeiten wir uns Zukunft.

Beate Ratter

Wie definieren Sie am UNESCO-Lehrstuhl für Gesellschaftliche Klimaforschung und Resilienz den Begriff „Resilienz“?

Ratter: Resilienz bedeutet für mich nicht, nach einer Krise einfach in den alten Zustand „zurückzufedern“, sondern beschreibt die Fähigkeit, sich als Gesellschaft kontinuierlich zu verändern und anzupassen, mit Belastungen wie dem Klimawandel so umzugehen, dass unsere Funktionsfähigkeit erhalten bleibt – und wir idealerweise gestärkt daraus hervorgehen. Anpassungsfähigkeit ist Teil der Resilienz. Und dabei ist Resilienz und Anpassung an den Klimawandel keine rein technische, sondern eine kulturelle und gemeinschaftliche Aufgabe, die in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich verstanden und umgesetzt wird. Mit Klimawandelanpassung erkaufen wir uns Zeit, mit nachhaltiger Anpassung und Resilienz erarbeiten wir uns Zukunft.

Sie forschen auf kleinen Inseln, die oft als besonders stark betroffen gelten. Warum stehen diese so im Fokus?

Ratter: Kleine Inseln sind zu Symbolen des Klimawandels geworden – das Bild der „versinkenden Paradiese“ ist emotional stark, aber auch stereotyp. Zahlreiche nationale Insel-Regierungen verstehen es, mit der internationalen Politik-Klaviatur umzugehen, auch wenn sie, was Finanzhilfen betrifft, nicht so erfolgreich sind, wie sie sich das wünschen. Dabei hängen viele Probleme mit dem eigenen Handeln und auch mit den Wirtschaftsstrukturen zusammen, z.B. dem Massentourismus. Auf den Malediven etwa werden Millionen Touristen empfangen, deren Emissionen nicht in die nationale Klimagasbilanz eingehen. Die Klimawandelwirkungen erfahren aber die Inselbevölkerung auf den lokalen Inseln jenseits der Ferien-Ressorts. Wenn wir über Klimawandel sprechen, müssen wir globaler denken: über wirtschaftliche Abhängigkeiten und auch über postkoloniale Strukturen, die bestehende Ungleichheiten verschärfen.

Beate Ratter ist Professorin für integrative Geographie and der Universität Hamburg. Sie forscht im Rahmen des Exzellenzclusters CliCCS (Climate, Climatic Change, and Society) unter anderem zur Wahrnehmung von Naturereignissen und Klimaanpassung.

Ein Porträt der Wissenschaftlerin Beate Ratter

Foto: Göttling

Sie sagen, Forschung könne nur gemeinsam mit Gemeinschaften vor Ort gelingen. Was heißt das konkret?

Ratter: Wir wollen von lokalen Initiativen lernen und sie stärken. Menschen sollen erkennen, dass sie eine Rolle spielen, und wir wollen sie darin bestärken, selbst wirksam zu werden. Ein Beispiel sind die Seychellen: Dort lernen Kinder in sogenannten Ökoschulen ganz praktisch und gemeinsam was Umwelt und Natur für die Gemeinschaft bedeutet – im Schulgarten, bei Mangrovenprojekten oder Strandreinigungen. Das ist nicht nur Umwelt-, sondern Persönlichkeitsbildung. Gemeinschaft, Verantwortung und Bildung gehören untrennbar zusammen.

Wie kann man Menschen hierzulande dafür sensibilisieren, den Klimawandel als unmittelbare Realität wahrzunehmen?

Ratter: Durch gemeinschaftliche Erlebnisse. In Deutschland neigen wir dazu, Verantwortung an den Staat abzuschieben. Und allgemein neigen wir dazu, schlechte Erfahrungen zu verdrängen. Selbst nach der Flut im Ahrtal war das Bewusstsein, dass der Klimawandel vor unserer Haustür schon negativ wirksam wird, schnell wieder verschwunden. Gegen das Vergessen helfen persönliche Erlebnisse, die sich als Erfahrung ins eigene Bewusstsein einbrennen. Auf Norderney etwa haben wir deshalb einen Klimaerlebnis-Spaziergang entwickelt – für die Insulaner: An konkreten Orten sehen, erleben und diskutieren Menschen, wie sich der Klimawandel bereits auswirkt – abgerutschte Dünen, abgetragene Strände, Gefahren für die Süßwasserline. So wird das Thema erfahrbar und gemeinsames Handeln wahrscheinlicher.

Nur wer vorbereitet ist, kann im Ernstfall ruhig reagieren – das ist gelebte Klimaanpassung.

Beate Ratter

Warum ist es so wichtig, Menschen nicht nur zu informieren, sondern ihnen konkrete Handlungsroutinen zu vermitteln?

Ratter: Weil Information allein nicht ausreicht. Insbesondere in Extremsituationen müssen Menschen wissen, was sie tun sollen – und das automatisch, ohne nachzudenken. Eingeübte Routinen helfen in einer Gefahrensituation, das Passende zu tun. Es geht um das Erlebnis und die Selbstwirksamkeit: Ich muss das Gefühl haben, handlungsfähig zu sein. Das erreichen wir nur, wenn wir Routinen einüben – wie man es in Japan seit Jahren erfolgreich macht. Dort weiß jeder, was bei einem Erdbeben zu tun ist, weil Katastrophenschutz-Übungen regelmäßig stattfinden, nicht einmalig. Früher gab es auch bei uns Evakuierungsübungen in Schulen – heute kaum noch. Aber das ändert sich gerade langsam: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz wird aktiv und sichtbarer, Hamburg hat Unterricht über Katastrophen an Schulen eingeführt. Nur wer vorbereitet ist, kann im Ernstfall ruhig reagieren – das ist gelebte Klimaanpassung.

Wie realistisch ist es, dass Klimaschutz und Klimaanpassung flächendeckend umgesetzt werden?

Ratter: Auf der politischen Ebene ist das Thema Klima leider in den Hintergrund geraten – überlagert von Krisen wie dem Krieg in der Ukraine oder der Lage in Gaza. Dadurch steht der Klimawandel inzwischen oft nur noch an zweiter oder dritter Stelle. Die Politik hat zwar ihre Hausaufgaben formal gemacht – es gibt Klimapläne, Fördermittel, in Niedersachsen etwa die Möglichkeit, Klimaschutzmanager in allen Gemeinden einzustellen. Aber das wirkt manchmal wie ein Ablasshandel: „Wir haben doch gezahlt, also ist es erledigt.“ Die eigentlichen Impulse kommen von unten, aus der Zivilgesellschaft. Das Hamburger Volksbegehren im Oktober 2025 für strengere Klimaziele zeigt, dass es sich lohnt, wenn Menschen sich einmischen und Druck aufbauen. Anpassung an den Klimawandel findet nicht in Ministerien statt – sie beginnt in der Gemeinschaft.