Foto: Ali Ghandtschi

Wie wird aus einer Beteiligung der wenigen eine Beteiligung der vielen?

Ideen für die Demokratie von morgen

Wahlen, Online-Petitionen, Bürgerräte oder Hackathons – Es gibt heute viele unterschiedliche Möglichkeiten, Politik aktiv mitzugestalten. Wir werfen einen Blick darauf, wie Menschen sich heute beteiligen und wie aus der Beteiligung der wenigen in Zukunft eine Beteiligung der Vielen werden könnte.

Foto: Ali Ghandtschi

Inwiefern wir die Gegenwart und Zukunft aktiv mitgestalten können, hängt maßgeblich davon ab, was für Möglichkeiten der politischen Beteiligung wir haben. Für eine Demokratie sind das aktive Mitwirken und die Zustimmung von Bürger*innen nicht nur optional, sondern sogar überlebenswichtig: Sie bilden die Legitimationsgrundlage auf dessen Basis demokratische Institutionen wie der Bundestag politische Entscheidungen treffen.

In den letzten Jahrzehnten sind diese Beteiligungsmöglichkeiten deutlich mehr, digitaler und offener geworden. Neben konventionellen Beteiligungsformen wie Wahlen, Engagement in einer Partei und Demonstrationen, können Bürger*innen heute vom Sofa aus Online-Petitionen unterschrieben oder an Hackathons und Bügerräten teilnehmen, um Politik aktiv mitzugestalten. Trotz dieser Vielzahl an Möglichkeiten, stellt die Beteiligung von Bürger*innen die Demokratie zunehmend vor Herausforderungen.

Es sind wenige, die sich viel beteiligen, und viele, die sich wenig beteiligen

Eine große Herausforderung ist die ungleiche Verteilung politischer Beteiligung: Egal ob online oder analog, nicht alle Bevölkerungsgruppen beteiligen sich gleichermaßen. Was das für die Demokratie konkret bedeutet, kann man gut am Beispiel des Parteiengagements erkennen. Seit Jahrzehnten sinkt europaweit aber auch in Deutschland die Anzahl der Menschen, die sich in Parteien engagieren. Das trägt dazu bei, dass Parteien in Deutschland in ihrer Zusammensetzung die tatsächliche heutige Gesellschaft nicht widerspiegeln.

Überall sind junge Menschen, Frauen, Menschen mit Migrationsbiografien und Personen mit niedrigerem Bildungsabschluss unterrepräsentiert. Das spiegelt sich dann auch im Bundestagwieder. Würde dieser nur aus zehn Abgeordneten bestehen, so wären davon heute nur drei weiblich, zwei unter 40 Jahren, drei ohne Uni-Abschluss und nicht eine*r hätte eine Migrationsbiografie. Das führt wiederum dazu, dass Teile der Bevölkerung sich von Politiker*innen nicht ausreichend repräsentiert fühlen, was oft mit einem Vertrauensverlust einhergeht.

Auch im digitalen Raum setzen sich diese Ungleichheitenfort. Nicht alle können gleichermaßen an Online-Beteiligungsmöglichkeiten teilhaben. Zu den Hürden, die auch offline eine Rolle spielen, wie Zeitverfügbarkeit oder der Voraussetzung von bestimmtem Wissen, kommen der Zugang zum Internet und Vertrauen im Umgang damit. Online-Beteiligung wie das Unterzeichnen von Petitionen oder die Teilnahme an Bürger*innen Befragungen im Netz, nutzen daher im Schnitt eher junge Menschen, Akademiker*innen und Männer häufiger als Frauen. Und auch hier sind es wenige, die sich viel beteiligen, und viele, die sich wenig oder gar nicht beteiligen.

Wahlbeteiligung als Indikator für die Gesundheit der Demokratie

Mangelnde Beteiligung ist auch in Bezug auf Wahlen eine Herausforderung. Die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen liegt seit Jahren kontinuierlich deutlich unter dem Niveau, was noch in den 1980er Jahren herrschte. Insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen sowie Menschen mit Migrationsbiografie gehen seltener wählen. Hinzu kommt, dass allein in Deutschland um mehr als zehn Millionen Menschen leben, die aufgrund ihrer nicht-deutschen Staatsbürgerschaft nicht an Bundestagswahlen teilnehmen können. Hinter diesen Zahlen steckt ein zunehmendes Legitimationsproblem: Desto weniger Menschen sich an Wahlen beteiligen, desto weniger Menschen tragen politische Entscheidungen mit. Wahlbeteiligung ist auch deshalb, wie es der Politikwissenschaftler Thorsten Faas formulierte, „ein wichtiger Indikator für die Gesundheit der Demokratie“.

Wie wird aus der Beteiligung der wenigen eine Beteiligung der vielen?

Was also tun um das Immunsystem der Demokratie zu stärken? Wie kann aus einer Beteiligung der Wenigen eine Beteiligung der Vielen werden? Wie können Nicht-Wähler*innen mobilisiert werden? Und wie kann politisches Engagement – online und offline – attraktiver gestaltet werden?

Die gute Nachricht: An Ideen mangelt es nicht. Bürger*innen Beteiligung hat in den letzten Jahren einen echten Boom erlebt. Egal ob im Kiez, auf kommunaler oder Bundesebene: Überall wird mit alten und neuen Formen der Bürger*innen Beteiligung experimentiert.

„Hacking“ für die Demokratie

Eine davon sind sogenannte „Hackathons“. In einem abgesteckten Zeitraum und unter Zeitdruck – analog zu einem Marathon – erarbeiten Menschen gemeinsam digital Lösungen (oder „Hacks“) für ein konkretes Problem. Ein prominentes Beispiel ist der Wir vs. Virus Hackathon. Gemeinsam haben 28.000 Bürger*innen per Videocall im bisher größten Hackathon der Welt innerhalb von 48 Stunden 15.000 Lösungen für unterschiedliche durch die Covid-19 Pandemie entstandenen Herausforderungen erarbeitet. Im März 2021 startet die Bundesregierung bereits den nächsten Hackathon mit dem Titel UpdateDeutschland.

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Teilnehmer eines Hackathons in Kiew.

Foto: Alex Kotliarskyi on Unsplash

Beteiligung per Los

Eine andere Form der Bürger*innen-Beteiligung, die immer häufiger zum Einsatz kommt, sind sogenannte Bürgerräte. Die Idee: Per Los werden Bürger*innen ausgewählt, die gemeinsam zu einem bestimmten Thema möglichst konkrete Vorschläge für die Politik erarbeiten. Unterstützt werden die Bürger*innen bei der Ausarbeitung von Vorschlägen durch Expert*innen. Neben Ländern wie Irland und Frankreich, hat auch Deutschland seit Anfang 2021 zum ersten Mal einen von der Bundesregierung mitinitiierten, deutschlandweiten Bürgerrat zum Thema „Deutschlands Rolle in der Welt“. In 50 Stunden und mehr als Sitzungen verteilt haben 154 zuvor ausgeloste Bürger*innen Vorschläge zum zukünftigen Auftreten Deutschlands in der Welt gesammelt. Diese werden bis Ende März 2021 in ein Bürgergutachten zusammengefasst, was dann in die Arbeit der Politik einfließen soll.

Vielfältige und inklusive Möglichkeiten für die Beteiligung der Vielen

Die schlechte Nachricht: Wie die Zahlen zu politischer Beteiligung zeigen, reicht allein ein großes Angebot nicht aus, um die Stimmen möglichst vieler Bürger*innen in politische Prozesse einfließen zu lassen. Selbst Bürgerräte, wo durch das Losverfahren eine deutlich breitere Bevölkerungsgruppe eingebunden werden kann, bleiben voraussetzungsvoll. Teilnehmer*innen müssen zum Mitmachen die nötige Zeit, Interesse und ein gewisses Selbstvertrauen mitbringen. Wer das nicht kann, bleibt außen vor. Trotzdem können Hackathons, Bürgerräte und andere neue Formen der Beteiligung Teil der Lösung sein. Um möglichst viele zu erreichen, müssen die Beteiligungsmöglichkeiten der Zukunft die unterschiedlichen Alltagsrealitäten und Bedürfnisse von Bürger*innen berücksichtigen.

Dazu müssen sie inklusiv gestaltet sein; die Hürden müssen so gering wie möglich gehalten werden. Es braucht eine Kombination politischer, technologischer, sozialer und juristischer Lösungen - offline wie online. Dazu können sowohl Ideen zu möglichen Wahlrechtsreformen, alternative, partei-unabhängige Finanzierungsmöglichkeiten für Nachwuchspolitiker*innen als auch die Einführung von Online-Wahlen gehören. Mindestens genauso wichtig sind Ideen dazu wie mehr Zeit und Raum für politische Engagement geschaffen werden kann, wie beispielsweise die Idee eines verpflichtenden sozialen Jahrs. Anders gesagt: Die Beteiligung der Vielen braucht vielfältige und inklusive Möglichkeiten. Und: Alle sind gefragt genau diese Möglichkeiten mitzugestalten, auszuprobieren oder sogar ganz neue zu erfinden.

Autor*in

Magali Mohr

mohr@futurium.de