Wie Bürger*innen eigenen Strom erzeugen

Energieversorgung vor Ort

Welche Wege gibt es für Bürger*innen, eigenen Strom zu produzieren? Welche Technologien stehen zur Verfügung, wie lässt sich Strom mit anderen teilen? Wie zuverlässig ist das Ganze und was kostet es?

Energie vom einen zum anderen

Hierbei gibt es unterschiedliche Konzepte und Herangehensweisen: Bleibt es beim Stromtausch unter Nachbar*innen oder wird überschüssiger Strom an den lokalen Stromversorger weitergegeben? Wird geteilt, getauscht oder bezahlt? Und welche Technologie liegt jeweils zugrunde? Egal, wie das System im Einzelnen organisiert ist: Die Peer-to-Peer-Energieproduktion eröffnet neue Chancen für Bürger*innen. Die folgenden drei Beispiele zeigen, wie es gehen kann.

Brooklyn Microgrid – wie eine Nachbarschaft in New York sich selbst versorgt

Bitte einen Moment Geduld. Das Video wird geladen.

Ein Beispiel, wie Strom lokal erzeugt und verteilt wird, ist das Projekt „Brooklyn Microgrid“. Seit 2017 versorgt sich im New Yorker Stadtteil die Nachbarschaft über ein Mikro-Stromnetz (Microgrid) selbst mit Strom. Dabei werden Angebot, Nachfrage und die Transaktionen mit der Blockchain Technologie gesteuert. Das Wort vom „Netzwerk unter Nachbar*innen“ bekommt damit nochmal eine völlig neue Bedeutung.

Und so geht‘s: Ein Teil der Anwohner*innen betreibt große Solarzellenfelder auf ihren Dächern und erzeugt Energie, die in Batteriespeichern gesammelt wird. Produzieren sie mehr, als sie selbst verbrauchen, können sie die überschüssige Energie an diejenigen Nachbar*innen weitergeben, die ebenfalls Teil des Netzwerks sind. Um den Strom verteilen zu können, wird die Produktion sekundengenau erfasst, berechnet und verteilt. Diese Vorgänge werden über die App auf Basis der Blockchain reguliert. Zu welchen Bedingungen der Stromhandel geschieht, legen die Beteiligten selbst fest. Preisstufen je nach Auslastung definieren, einen bestimmten Prozentsatz des Stroms verschenken? Alles machbar.

Ermöglicht hat das „Brooklyn Microgrid“ eine Kooperation des New Yorker Start-ups LO3 Energy, der Digital Grid Division des deutschen Technologiekonzerns Siemens und next47, eine Ausgründung des Konzerns zur Förderung von Innovationen. Die Projektpartner stellen Hardware und Software für das New Yorker Energie-Experiment zur Verfügung: einerseits die Batteriespeicher und Smart Meter für das Stromnetzwerk, andererseits das für den Handel notwendige Blockchain Programm. Warum das Ganze? Das „Brooklyn Microgrid“ ist ein ideales Testfeld, um Erfahrungen auf diesem zukunftsweisenden Gebiet zu sammeln. Wie kann die Technologie angewandt und vermarktet werden? Wie verhalten sich die Nutzer*innen?[1] Mit derartigen Versuchen können Unternehmen ausloten, welche Rolle sie in einem künftigen, eher dezentralen Energiesystem noch spielen könnten.[2]

GreenPowerGrid – wie die Stadt Speyer grünen Strom fördert

Wie man auch ohne Blockchain-Programme Energie handeln kann, zeigt das Pilotprojekt „GreenPowerGrid“ der Stadtwerke Speyer und des Fraunhofer Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM). Sie wollen gemeinsam einen Verbund privater Erzeuger*innen aufbauen und so die Region mit lokalem Grünstrom versorgen. Das Ziel: 100 Prozent regenerativer Strom.

Wie funktioniert es? Die Stadtwerke Speyer stellen die Infrastruktur aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie dezentralen Batteriespeichern zur Verfügung. Insgesamt 100 bis 120 Einheiten sind Bestandteil des lokalen Energiesystems. Eine zentrale Steuerung gibt es nicht, stattdessen werden Angebot und Nachfrage über die vielen dezentralen Speicher reguliert. Die Abwicklung erfolgt über eine Plattform der Stadtwerke. Durch die Kombination aus Sonnen- und Windenergie sind die Speicher dauerhaft gut ausgelastet, der dezentrale Aufbau des Energiesystems macht es robust gegen größere Ausfälle. Mehr noch: Es werden Anreize geschaffen, weitere eigene Photovoltaik-Anlagen zu bauen - Anwohner*innen können diese bei den Stadtwerken pachten oder privat bauen. Prinzipiell ist das "GreenPowerGrid" so aufgebaut, dass es organisch wachsen kann. Auf diese Weise ließe sich nach und nach der Anteil von grünem Strom in der Region erhöhen.

SonnenCommunity – im Netzwerk mit dem eigenen Stromspeicher

Einen anderen Weg schlägt das bayerische Unternehmen „sonnen“ ein. Eigentlich produziert und vertreibt es Stromspeicher. Doch der Bonus: Kund*innen, die Stromspeicher besitzen, können sich untereinander in der „SonnenCommunity“ vernetzen und darüber ihren überschüssigen Strom weitergeben oder selbst beziehen.

Konkret funktioniert das so: Alle teilnehmenden Haushalte mit eigener Sonnen- oder Windenergieanlage und dazugehörigem Speicher werden mit intelligenten Zählern (Smart Meter) ausgestattet und so miteinander verknüpft. Die Smart Meter messen rund um die Uhr, wie viel Energie der jeweilige Haushalt produziert, und senden diese Information online an die Steuerzentrale der „SonnenCommunity“. Diese bündelt wiederum die Informationen und tariert so die Bedarfe innerhalb der bundesweiten „SonnenCommunity“ aus.

Was kostet das?

Es kommt darauf an! Denn wie die drei Beispiele zeigen, spielen bei der Bepreisung mehrere Faktoren eine Rolle: Wie viele Beteiligte gibt es, wer speist Strom in das jeweilige Netz ein, wer ist nur Verbraucher*in und wie groß ist die Anlagenleistung insgesamt? Liegt die Energieversorgung in der Hand der Gemeinde, könnten sich die Preise günstiger gestalten, weil etwaige Gewinnspannen entfallen. Und: Je mehr Marktteilnehmer*innen es gibt, desto stärker sinken die Energiepreise. Die Kooperation des GreenPowerGrid[4] hat ganz konkret vor, mit ihrem System einen neuen, niedrigeren Ökostromtarif für die Stadt Speyer zu etablieren. Dass dezentrale Strukturen und Transaktionsmodelle in der Energiewirtschaft künftig für mehr Transparenz und auch größere Flexibilität sorgen, prognostiziert die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC).[5]

Gilt das nur für Strom?

Die Ausweitung auf den gesamten Bereich der Energieversorgung, also auch Wärme und Treibstoff, ist denkbar. So ließe sich zum Beispiel die Blockchain auch für die Verteilung von Wärme nutzen, wie das Projekt "Exergy" des Start-ups LO3 Energy zeigt. Es hat sich zum Ziel gesetzt, mit der entstehenden Wärme von Rechenzentren Häuser zu heizen, indem die Abwärme von elektrischen Geräten gespeichert und über Schnittstellen weiterverteilt wird. Der Verkauf der (gespeicherten) Wärme wird über ein Blockchain-System organisiert.[6]

… und ab morgen dann alle?

Noch sind Selbstversorger-Projekte von Prosumer*innen die Ausnahme. Flächendeckend verbreitet ist das System aus Energiekonzernen und -versorger*innen, Netzbetreiber*innen sowie Verbraucher*innen. Doch wie sieht die Zukunft aus? Wie kann die dezentrale Organisation Fuß fassen? Und wird so die Herkunft des Stroms transparenter?

Die bisherigen Projekte zeigen, dass selbst produzierte und gehandelte Energie viele Vorteile mit sich bringt – für jede*n Einzelne*n ebenso wie für die gesamte Gesellschaft. Es wird zum Beispiel nachvollziehbar, woher der Strom stammt. Die dezentrale Struktur macht die Versorgung insgesamt weniger anfällig für große Black-Outs. Gleichzeitig steigen die Anreize für Privathaushalte, eigene Solaranlagen anzuschaffen und sich am lokalen Aufbau der Energieproduktion zu beteiligen. Damit wächst die Chance, die großen gesamtgesellschaftlichen Ziele – störungsfreie Stromversorgung, wirtschaftlicher Netzbetrieb und ein reduzierter CO2-Ausstoß – besser zu erreichen. Nach Einschätzung von Analyst*innen ist das Potenzial von Prosumer*innen groß, den Energiemarkt einschneidend zu verändern.[7] Kurzum: Es ist nicht auszuschließen, dass die großen Energieversorger bald ernstzunehmende Konkurrenz bekommen.

Quellen und Literaturangaben

[1] Vgl. „Solarstrom dank Blockchain“, Hubertus Breuer, Siemens, 2018
[2] Für mehr Informationen: „Technologiestudie Microgrid – Markt- und Technologieübersicht für Komponenten eines Microgrids“, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart 2018.
[3] Vgl. „Blockchain – Chance für Energieverbraucher? Kurzstudie für die Verbraucherzentrale NRW“, PricewaterhouseCoopers, Düsseldorf 2016, S. 33.
[4] Vgl. Das Technologie-Netzwerk: Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe.
[5] Vgl. GreenPowerGrid https://www.greenpowergrid.info/home/nutzen-vorteile/
[6] Vgl. „Blockchain – Chance für Energieverbraucher?“, S. 21-22.
[7] Vgl „Blockchain – Chance für Energieverbraucher?“, S. 33.