Eiskalte Überholspur auf der Stromautobahn
Energie erreicht in Sekundenschnelle ihr Ziel – über Kontinente hinweg und ganz ohne Stromverlust. Supraleiter sollen das in Zukunft ermöglichen. Wichtige Schritte in diese Richtung sind der Forschung bereits gelungen.
Ob als Stromkabel, in Magnetspulen künftiger Fusionsreaktoren wie ITER oder im Kernspintomographen: Für Supraleiter gibt es vielfältige Anwendungsgebiete. Denn sie können, was andere Stromleiter nicht schaffen: Sie lassen Energie ohne jeden Widerstand fließen – und könnten so dazu beitragen, Energie effizienter zu nutzen.
Zum Vergleich: Allein im deutschen Stromnetz gehen rund 5,7 Prozent der erzeugten Elektroenergie beim Transport vom Produktionsort zu den Verbraucher*innen verloren.[1] Der wichtigste Grund: Fließt der Strom durch herkömmliche Leitungen aus Metall, stoßen die Ladungsträger – die Elektronen – an die Materialteilchen des Leiters. Dabei entstehen Schwingungen, die Wärme erzeugen und somit zu Energieverlust führen.[2]
Das Prinzip des Super-Stromtransports
Diesen Vorgang setzt die Supraleiter-Technologie außer Kraft. Damit sie funktioniert, muss das Leitermaterial so stark abgekühlt werden, dass sich die physischen Gesetze innerhalb des Materials ändern. Das läuft so ab: Ist eine bestimmte Temperatur im Supraleiter erreicht (die sogenannte Sprungtemperatur), fällt der Widerstand – anders als bei herkömmlichen stromleitenden Materialien – sofort auf Null. Jetzt bilden die Elektronen im Inneren des Leiters "Cooper-Paare", die ungebremst durch den Supraleiter gleiten können.[3]
Mehr über das Supraleiter-Prinzip und was eigentlich Cooper-Paare sind, siehst Du hier:
Das Problem, das den Einsatz von Supraleitern in der Energieversorgung jedoch bislang verzögert, ist die Eiseskälte: Die Leitungen müssen bis zum absoluten Nullpunkt, also auf minus 273 Grad Celsius, heruntergekühlt werden. Auch Hochtemperatursupraleiter, für deren Entdeckung die deutschen Wissenschaftler Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller 1987 den Nobelpreis für Physik erhielten, arbeiten zwar bei deutlich höheren Temperaturen, benötigen allerdings noch immer unter minus 140 Grad Celsius, um Strom ohne Verluste fließen zu lassen.[4] Extremwerte, die künstlich erzeugt werden müssen – mit hohem technischen und finanziellen Aufwand.[5]
Supraleitung unter Druck
Ein Durchbruch gelang 2019 Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Chemie. Sie entwickelten eine Technologie, mit der die Supraleitung von elektrischem Strom schon bei Temperaturen von minus 23 Grad Celsius funktioniert – und überboten damit ihren eigenen Rekord von 2015, der bei minus 70 Grad Celsius lag. Ziel der Wissenschaftler*innen ist, ein Material zu finden, das bei Raumtemperatur zum Supraleiter wird.[6]
Mehr über die Forschung am Max-Planck-Institut siehst Du hier:
Auch das Institut für Festkörperphysik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) untersucht die Funktionsweise supraleitender Materialien und entwickelte 2019 ein Supraleiterkabel, das durch eine spezielle Materialzusammensetzung mit einer Kühlung von minus 196 Grad Celsius auskommt. Der Vorteil dieser Entwicklung: Das Kabel kann besonders viel Strom transportieren und dank eines neuen Fertigungsverfahrens günstiger hergestellt werden. Die KIT-Entwicklung eignet sich damit für den Transport großer Mengen elektrischer Energie, um künftig beispielsweise Windparks oder Solarkraftwerke an Stromnetze anzuschließen.[7]
Mehr über das KIT-Projekt erfahrt ihr hier:
Ein Kilometer Tiefkühlstrom
Doch wie sieht es mit der aktuellen Anwendung in der Energiebranche aus? Ein Pilotprojekt ist AmpaCity in Essen: Mitten im Ruhrgebiet hat die längste Strom-Supraleitung der Welt nach über viereinhalb Jahren den Praxistext bestanden. Der ein Kilometer lange keramische Supraleiter ist fester Bestandteil des Essener Stromnetzes. Das Kabel hat einen Durchmesser von 15 Zentimetern und wird mit Stickstoff von innen und außen auf Temperaturen von minus 200 Grad Celsius gekühlt (mehr über AmpaCity lest ihr hier und hier).
Doch bis Supraleiter großflächig zum Einsatz kommen, müssen weitere technologische Meilensteine erreicht und neue Herstellungsverfahren den Praxistest bestanden haben – und die Kosten sinken. Auch neue supraleitende magnetische Energiespeicher (SMES) sind in der Entwicklung. Wissenschaftler*innen des KIT arbeiten derzeit beispielsweise an einer Lösung, bei der Langzeitspeicher und SMES-Kurzzeitspeicher miteinander kombiniert werden, um schnelle Schwankungen in Wind- und Solaranlagen kurzfristig aufzufangen und die Verluste der gesamten Anlage auf lange Sicht zu verringern.[8]
Ob als Stromkabel oder Speicher: Schaffen es Supraleiter bis zur Marktreife, könnten sie künftig einen wichtigen Beitrag dazu leisten, regenerative Energien noch effizienter zu nutzen.
Quellen und Literaturangaben
[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Erzeugung/Tabellen/bilanz-elektrizitaetsversorgung.html
[2] http://www.elektronik-kompendium.de/sites/grd/0501191.htm, http://www.nonmet.mat.ethz.ch/education/courses/ceramic2/Kap8_2009.pdf - Mehr über elektrischen Widerstand: https://www.youtube.com/watch?v=OqpcGX8bTfg
[3] http://www.nonmet.mat.ethz.ch/education/courses/ceramic2/Kap8_2009.pdf
[4] https://www.chemie.de/lexikon/Hochtemperatursupraleiter.html
[5] https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/supraleiter/geschichte/
[6] https://www.deutschlandfunk.de/supraleiter-weltrekord-bei-tiefkuehlfachtemperatur.676.de.html?dram:article_id=454895
[7] https://www.kit.edu/kit/pi_2019_039_energieeffizientes-supraleiterkabel-fuer-zukunftstechnologien.php
[8] https://www.kit-technology.de/de/technologieangebote/details/461/