Keimbahneingriffe

Eingriff ins Leben?

Wird mithilfe gentechnischer Werkzeuge das Erbgut von Eizellen, Spermien, deren Vorläuferzellen oder von frühen Embryos verändert, sprechen Wissenschaftler*innen von Keimbahneingriffen. Sie könnten laut Deutschem Ethikrat – einem Expert*innengremium – in Zukunft eingesetzt werden, um 1.) erbliche Erkrankungen zu vermeiden, 2.) um vorbeugend Erkrankungsrisiken zu senken oder 3.) um die Eigenschaften oder Fähigkeiten kommender Generationen zu verbessern (Enhancement).

1.) Keimbahneingriffe zur Vermeidung vererbbarer Krankheiten

Im Mittelpunkt des Interesses stehen sogenannte monogen vererbte Erkrankungen: Sie kommen durch den Ausfall oder die Fehlfunktion eines einzelnen Gens zustande. Das ist zum Beispiel der Fall bei Mukoviszidose, Sichelzellenanämie oder bei einer erblichen Hörstörung. Durch eine Korrektur dieser Mutation ließen sich diese Krankheiten mit Sicherheit oder zumindest hoher Wahrscheinlichkeit verhindern. Besonders relevant ist ein solcher Eingriff zum Beispiel, wenn beide Elternteile nur fehlerhafte Genkopien vererben können und wenn der Vererbungsgang autosomal-rezessiv ist. Das bedeutet, die Erkrankung bricht beim Kind dann aus, wenn es zwei mutierte Genkopien erhält, eine von der Mutter und eine vom Vater. Wie das genau funktioniert, liest Du hier auf den Seiten 83-87. Ein aktueller Fall, bei dem solch ein Keimbahneingriff diskutiert wird, findest Du außerdem in der Infobox.


2.) Keimbahneingriffe zur Reduzierung von Krankheitsrisiken


Keimbahneingriffe könnten künftig auch bei Krankheiten zum Einsatz kommen, die multifaktoriell bestimmt sind. Das heißt, sie werden durch verschiedene Gene und zum Beispiel auch durch Umwelteinflüsse beeinflusst. Dazu gehören etwa Diabetes oder Herzkreislauf-Erkrankungen. Die Komplexität der Erkrankung macht einen möglichen Keimbahneingriff zu einer besonderen Herausforderung. Ein solcher Ansatz funktioniert zurzeit beim Menschen noch nicht.


3.) Keimbahneingriffe zur Optimierung des Menschen


Klüger, schlauer, netter? Würden genetische Eingriffe vorgenommen, um physische, mentale oder charakterliche Eigenschaften eines gesunden Menschen zu verbessern, wird das als genetisches Enhancement bezeichnet. Bisher ist jedoch wenig über das Zusammenspiel der Gene bekannt, die für solche komplexen Eigenschaften verantwortlich sind.


Immun gegen HIV?

Alle drei Varianten des Keimbahneingriffs sind dauerhaft und können an spätere Generationen weitergegeben werden. Es handelt sich um riskante Eingriffe – mit bisher unbekannten Folgen. Mit ihnen sind viele rechtliche und ethische Fragen verbunden. Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft diskutieren deshalb darüber, ob Forscher*innen die menschliche Keimbahn verändern dürfen. In Deutschland ist das bisher verboten. In China wurde das Erbgut von Babys bereits verändert. 2018 kamen dort die Zwillinge Lulu und Nana zur Welt. He Jiankui von der South University of Science and Technology in Shenzhen veränderte unter Missachtung von wissenschaftlichen und rechtlichen Standards das Erbgut der Babys mit der Genschere CRISPR/Cas9 (wie diese Genschere funktioniert, kannst Du hier sehen).

Nach eigener Aussage so, dass die Kinder sich in Zukunft nicht mit HI-Viren infizieren können. Belegt ist dies jedoch nicht. Laut Deutschem Ethikrat ist dabei umstritten, ob es sich um Enhancement oder medizinische Prävention handelt. Bei dem Eingriff in ihre Keimbahn entfernte er den Zwillingen ein Gen. Mit Hilfe dieses Gens produziert der Körper eigentlich ein bestimmtes Molekül (einen sogenannten Rezeptor), über das die HI-Viren Zellen im menschlichen Körper befallen. Es gibt Menschen, die aufgrund einer Mutation dieses Gens gegen die Viren geschützt sind. Durch den Keimbahneingriff soll auch das Risiko der Nachkommen von Lulu und Nana geringer sein, an HIV zu erkranken. 100-prozentige Sicherheit gibt es aber nicht. Unklar ist jedoch, ob das Ausschalten des Gens negative Folgen für die Babys mit sich bringen kann. So zeigt beispielsweise eine Studie der Universität Berkeley, dass Menschen, die von Natur aus die vergleichbare Genveränderung haben, früher sterben.[1]

Was einige Forscher*innen weltweit fordern

Sollten Keimbahneingriffe verboten sein? Bei der Abwägung für oder gegen Keimbahneingriffe spielen viele juristische sowie ethische Aspekte eine Rolle. Außerdem müssten Chancen und Risiken der Eingriffe erklärt und abgewogen werden. Einige Genforscher*innen aus insgesamt sieben Ländern riefen Anfang 2019 zu einem weltweiten Moratorium auf – ein gesetzlich angeordneter Aufschub für die Keimbahneingriffe. Ihr Appell: Zuerst müssten internationale Regeln etabliert und wissenschaftliche, medizinische sowie ethische Fragen diskutiert werden. Erst danach dürften Keimbahnveränderungen weltweit erlaubt werden. Voraussetzung sei jedoch, dass die Öffentlichkeit vorab informiert werde, falls Wissenschaftler*innen einen Keimbahneingriff planen. Die Anwendung müsse zudem gerechtfertigt sein – und in dem betreffenden Land müsse ein gesellschaftlicher Konsens in puncto Keimbahneingriffe herrschen.[2]

Offen bleibt dabei unter anderem, wie eine solche übereinstimmende Meinung festgelegt und gemessen werden soll. Andere Wissenschaftler*innen glauben, dass solche Moratorien nicht wirksam sind. So sagt Jennifer Doudna, Entdeckerin der Genschere CRISPR/Cas9, im Wissenschaftsmagazin Science: „Ich glaube, dass Moratorien als Gegenmaßnahmen nicht mehr stark genug sind, die Interessengruppen müssen sich stattdessen für eine durchdachte Regulierung der Technologie einsetzen, ohne sie zu unterdrücken." Im Juli 2019 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Erklärung: Darin fordert sie die Regulierungsbehörden aller Länder auf, jegliche klinischen Experimente, die mit Eingriffen an der menschlichen Keimbahn zu tun haben, zu verbieten. In Zukunft soll es für solche Forschungen ein internationales Register geben, in dem alle Studien erfasst werden sollen.


Nicht unantastbar


Der Deutsche Ethikrat fordert ebenfalls einen gesetzlichen Aufschub. Zwar hält er die menschliche Keimbahn nicht für unantastbar, findet Eingriffe wegen ihrer Risiken jedoch ethisch unverantwortlich.[3] Die molekularbiologischen Möglichkeiten, um das Genom von Lebewesen gezielt zu verändern, entwickelten sich jedoch rasant. Deshalb rücke auch die Möglichkeit, in die menschliche Keimbahn einzugreifen immer näher. Es stelle sich damit die Frage, ob die bisherige „kategorische Ablehnung“ von Keimbahnveränderungen aufrechterhalten werden kann. Der Ethikrat empfiehlt, vor dem Einsatz von Keimbahnveränderungen nachzuweisen, wie sicher und wirksam solche Eingriffe sind. Außerdem soll laut Gremium eine internationale Institution Standards für Keimbahneingriffe am Menschen erarbeiten, sich mit medizinischen und gesellschaftlichen Schlussfolgerungen beschäftigen und die Entwicklung überwachen. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag sollen darüber hinaus auf eine international verbindliche Vereinbarung hinwirken.[4] [5]



Quellen und Literaturangaben

[1] https://www.nature.com/article...
[2] https://www.nature.com/articles/d41586-019-00726-5
[3] https://www.ethikrat.org/mitteilungen/2019/ethikrat-keimbahneingriffe-derzeit-zu-risikoreich-aber-ethisch-nicht-grundsaetzlich-auszuschliessen/
[4] https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-eingriffe-in-die-menschliche-keimbahn.pdf
[5] https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/medizinethik/article/987426/genom-editierung-ethikrat-haelt-eingriffe-keimbahn-nicht-unantastbar.html