Sabine Pfeiffer

Sabine Pfeiffer forscht zum Wandel von Arbeit und Gesellschaft

Denkraum Technik

„Ein Roboter ersetzt selten genau drei Arbeitsplätze“


Die Digitalisierung und Robotik verändert viele Berufe und Arbeitsplätze, wie wir sie bisher kennen. Das hat Auswirkungen auf Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die prominentesten Ideen: ein Lebenszeitkonto für Bildung oder Sozialversicherungsansprüche, ein Bedingungsloses Grundeinkommen, eine Steuer auf Roboter. Was aber leisten die Vorschläge? Und wie kann die Digitalisierung des Arbeitsplatzes gestaltet werden, dass Mitarbeiter*innen profitieren? Sabine Pfeiffer beschäftigt sich seit Jahren mit den Veränderungen der Arbeitswelt. Sie ist Professorin für Technik- und Arbeitssoziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Sabine Pfeiffer

Sabine Pfeiffer forscht zum Wandel von Arbeit und Gesellschaft

Frau Pfeiffer, nehmen uns Roboter und Algorithmen die Arbeit weg?

Sabine Pfeiffer: Wir tun immer so, als ginge es nur um Technik versus Mensch. Ob wir Technik dafür einsetzen, in erster Linie menschliche Arbeit abzubauen, ist eine Entscheidung von Menschen. Ob der Algorithmus uns unterstützt oder zum Anhängsel macht, ob der Roboter Kollege oder Konkurrent wird – das ist nicht in die Technik eingebaut. Das sind Folgen betrieblicher Entscheidungen. Gerade die Technik, von der wir jetzt reden, ist sehr gestaltungsfähig. Sie kann sehr unterschiedlich eingesetzt werden.

Haben Sie ein Beispiel?

Pfeiffer: Zum Beispiel eine Augmented-Reality-Brille: Damit kann entweder die sehr qualifizierte Facharbeiterin, die komplexe Produkte in einer hohen Variantenzahl montiert, mit sinnvollen Informationen unterstützt werden. Oder man will mit der gleichen Technologie dem nicht-qualifizierten Arbeiter jeden Handgriff vorgeben. In einem Fall erhalten wir Organisation und Mensch innovationsfähig, im anderen nicht.

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Augmented Reality kann unter anderem in der Ausbildung oder zum Anlernen fachfremden Arbeiter*innen genutzt werden.

Foto: Andrej Justus für Hahn Group (CC BY-SA 4.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Ist der Eindruck, dass vor allem gut ausgebildete Facharbeiter*innen von der Digitalisierung profitieren, also richtig?

Pfeiffer: Durch den Einsatz industrieller Robotik sind die Aufgaben für Facharbeiter*innen in der Instandhaltung oder Anlagenführung tatsächlich anspruchsvoller geworden. Im eigentlichen Produktionsprozess hat die Rolle Geringqualifizierter abgenommen. Facharbeit ist die zentrale Ressource, um Industrie 4.0 umzusetzen. Will man beurteilen, wer wie betroffen ist, muss man sich die gesamten Abläufe anschauen und nicht nur den einzelnen Arbeitsplatz.

Funktioniert klassische Weiterbildung überhaupt noch, um Industrie 4.0 umzusetzen? Künstliche Intelligenz ist ja ein sehr komplexes Thema.

Pfeiffer: Nicht jeder Beschäftigte muss in der Lage sein, einen KI-Algorithmus zu schreiben. Aber technische Berufe werden mehr als bislang mit der Anwendung von KI und Maschinellem Lernen arbeiten. Eine Maschinenbauingenieurin hat bereits heute viel mit Software zu tun. Da ist dann eine weitere Programmiersprache wie Python kein großer Schritt. Die Frage ist eher: Wie lernen auch Menschen ohne technischen Background, aber in Entscheidungspositionen, welche Potenziale – aber auch welche Grenzen – in den neuen Algorithmen steckt.

Ein Vorschlag für lebenslanges Lernen ist ein Lebenszeitkonto. Weiterbildungen, längere Phasen der Arbeitslosigkeit oder eine berufliche Neuorientierung werden aus dem Konto bezahlt. Wie ist das zu bewerten?

Pfeiffer: An sich ist es gut, mehr Flexibilität für Bildung zu schaffen. Die entscheidende Frage ist, wer in das Modell einzahlt und wer davon profitiert. Bei der Finanzierung sind natürlich auch die Arbeitgeber*innen gefordert. Es macht wenig Sinn, dass die Beschäftigten, die im System sind, immer mehr Sozialleistungen derer bezahlen, die aktuell nicht arbeiten. Wir müssen also mehr über Verteilung zwischen oben und unten nachdenken. Unabhängig von der Finanzierung stellt sich auch die Frage, ob alle teilnehmen könnten. Gutqualifizierte haben es viel leichter, Modelle anzunehmen, die mehr Freizeit schaffen, aber das Einkommen vielleicht für eine längere Zeit verringern. Solche Modelle müssen so gestaltet sein, dass sie vor allem die erreichen, die Weiterbildung am nötigsten haben.

Der prominenteste Vorschlag mit der Digitalisierung umzugehen, ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Ist das die Lösung?

Pfeiffer: Erstens finde ich es erstaunlich, warum wir heute so stark darüber reden. Unser Arbeitsmarkt brummt, wir haben die Arbeitslebenszeit durch das höhere Renteneintrittsalter verlängert, wir haben so viele Menschen in Erwerbstätigkeit wie noch nie. Viel wichtiger als die Frage, wie würde eine Gesellschaft übermorgen ganz ohne Erwerbsarbeit aussehen, ist doch die Herausforderung an das Hier und Heute: Wie gestalten wir die digitale Transformation so, dass wir eine gute und innovationsfähige Arbeitswelt für Morgen schaffen.

Eine weitere Idee zur Umverteilung ist eine Robotersteuer. Geht das überhaupt?

Pfeiffer: Unternehmen, die deutlich höhere Gewinne machen, müssen stärker besteuert werden. Ich glaube aber nicht, dass es praktikabel ist, dass am Roboter festzumachen. Selten ersetzt exakt ein Roboter drei Arbeitsplätze. Meistens verändert Digitalisierung ganze Arbeitsabläufe. Am Ende kann keiner mehr genau sagen, wo genau welche Tätigkeit weggefallen ist. Zudem müsste man das ja permanent erheben, der Wandel geht ja weiter. Wichtig ist: Wir haben eine starke Polarisierung der Gewinne und Vermögen in immer weniger Händen. Diese Schieflage ist weder für unsere Gesellschaft gut, noch für unsere mittelständische Wirtschaft. Neu über Verteilung nachzudenken, ist also an der Tagesordnung. Die Robotersteuer ist dafür aber keine praktikable Antwort.

Wir haben Rekordbeschäftigung, seit Jahrzehnten Produktivitätszuwächse. Wieso arbeiten wir eigentlich noch so viel? Können wir nicht einfach weniger arbeiten?

Pfeiffer: Wunderbare Frage, das frage ich mich auch. Gerade in den hochqualifizierten Bereichen sind Menschen psychisch sehr belastet. Auch Pfleger*innen sind stark beansprucht. Wir sind produktiv und erwirtschaften darüber ein immer höheres Volkseinkommen. Die logische Antwort wäre es, die Arbeitszeit zu verringern. Über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich haben wir zuletzt in den 1980er Jahren gesprochen. Seitdem ist das Thema nie wieder wirklich auf den Tisch gekommen. Wir hätten viele gute Gründe, genau darüber zu reden. Ich fände es schön, wenn es eine breite Debatte darüber geben würde.