Stefan Brandt; Foto: Die Hoffotografen GmbH
Interview
„Ein offenes Ohr für Phantasien und Utopien“
Das Futurium, das Haus der Zukünfte, öffnet am 5. September 2019. Eine besondere Situation auch für den Direktor des Futuriums, Dr. Stefan Brandt. Er sprach mit Online-Redakteurin Ludmilla Ostermann über eine besondere Anspannung vor dem Start, Schaukeln in der Ausstellung und Zukunftspläne im Haus der Zukünfte.
Stefan Brandt; Foto: Die Hoffotografen GmbH
Das Futurium steht kurz vor der Eröffnung. Wie geht es Ihnen?
Stefan Brandt: Ich würde lügen, würde ich sagen, ich sei komplett entspannt. Das wäre aber auch gar nicht gut. Es herrscht eine positive Spannung, denn eine Vielfalt an Aufgaben ist zu tun. Das Futurium stellt eine auf den ersten Blick fast unmöglich scheinende Vision dar: Einen Ort, der sich mit etwas auseinandersetzt, was noch nicht da ist. Der Menschen dazu ermutigen möchte, sich mit Zukunft zu beschäftigen und diese sogar mitzugestalten. So etwas gibt es bislang in Deutschland und in Europa in dieser Form noch nicht, wir betreten also Neuland. Langsam kommt bei mir auch Stolz dazu, unter denjenigen zu sein, die dieses Haus gemeinsam an den Start bringen. Seit der Grundsteinlegung im Sommer 2015 sind rund vier Jahre vergangen, erst im Juni 2017 bin ich selbst zum Team hinzugestoßen – für den Komplettaufbau einer neuen Publikumsinstitution mitten im Zentrum Berlins ist dies eine unwahrscheinlich kurze Zeitspanne.
Was erwarten Sie vom 5. September, dem Tag der Eröffnung?
Brandt: Wenn ich es mir malen könnte, erhoffe ich positiv überraschte Menschen. Solche, die möglicherweise mit diffusen oder gar keinen Erwartungen herkommen und dann sagen, „das hätte ich nicht gedacht, dass man sich so mit Zukunft beschäftigen kann“. Und natürlich hoffe ich, dass die sicherlich intensiven Eröffnungstage keine Eintagsfliege bleiben, sondern dass die Menschen danach wiederkommen und unser Haus Schritt für Schritt entdecken. Dazu trägt sicherlich auch der freie Eintritt bei, den wir im Rahmen einer Testphase zunächst bis Ende 2022 anbieten.
Museen bilden normalerweise die Vergangenheit ab. Wie funktioniert das mit der Zukunft?
Brandt: Wir stellen keine „Zukunft“ aus, das kann niemand. Denn niemand weiß, welche der vielen heute diskutierten „Zukünfte“, also der vielen unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen und -visionen, später tatsächlich Teil unserer „Zukunft“ werden. Wir zeigen in unseren drei Denkräumen Natur, Mensch und Technik vielmehr Optionen und Ansätze, die wir – nicht zuletzt basierend auf einem kontinuierlichen Austausch mit vielen Expert*innen – für zukunftsträchtig halten. Mit ihnen und ihrem Potenzial setzen wir uns erklärend, aber auch in alle Richtungen kritisch auseinander. Dazu bedienen wir uns einer großen Bandbreite von Exponaten: von Prototypen über historische Objekte bis hin zu künstlerischen Installationen und digitalen Inszenierungen. Aber auch Spiele gehören dazu: Auf spielerische Weise kann man sich ganz niedrigschwellig Zukunftsfragen annähern. Durch diese Vielfalt schaffen wir es letztlich doch, Zukunftsthemen konkret werden zu lassen und in die Gegenwart zu holen. Wir haben viel Wert gelegt auf eine sinnlichhaptische Ausstellungsarchitektur, für die die spektakuläre „parametrische Skulptur“ im Denkraum Natur das Seite sichtbarste Beispiel ist. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche Ausstellungsarchitektur auch die Erschließung der Inhalte durch die Besucher*innen unterstützt. Zur Vermittlung der Inhalte tragen neben der Ausstellung natürlich ebenso unsere beiden anderen Programmsäulen bei: das Forum, das aktuelle Positionen zur Sprache bringt und kontrovers diskutiert – und das Futurium Lab, das zur experimentellen Entwicklung eigener Ideen und zur Erprobung neuer Technologien einlädt.
Wir wollen zum Ort wichtiger Zukunftsdebatten werden.
Wo sehen Sie das Futurium in fünf Jahren?
Brandt: Wir wollen in der Hauptstadt Fuß fassen, deutschlandweit und schließlich auch international präsent werden. In fünf Jahren hoffe ich, dass wir einem internationalen Netzwerk ähnlicher Institutionen wie etwa dem Museu do Amanhã in Rio de Janeiro oder dem Miraikan in Tokio angehören. Bereits jetzt sind wir in Gesprächen über Kooperationen, denn vielerorts sind neue Publikumshäuser mit Zukunftsbezug geplant. Da ist weltweit etwas in Bewegung, und wir sollten Teil davon sein. Wir wollen das Futurium zudem in die Fläche schicken und damit vor allem die weniger urbanen Regionen ansprechen. Wir können einen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation leisten, indem wir das, was Forscher*innen entwickeln, mit dem Publikum in Beziehung setzen – testen, ausprobieren und debattieren. Perspektivisch wollen wir zum Ort wichtiger Zukunftsdebatten werden und solche Debatten auch anstoßen. Kurz: Unsere gesellschaftliche Wirksamkeit sollte in fünf Jahren bemerkbar sein.
Wie, glauben Sie, kann das Futurium die Menschen zur Zukunftsgestaltung bewegen?
Brandt: Ich denke, dass wir ehrlich sein sollten: Menschen haben eine ganz unterschiedliche Bereitschaft zur Teilhabe, und nicht jede*r möchte gleich zum aktiven Zukunftspionier werden. Ich glaube, es ist viel gewonnen, wenn Menschen ihren Besuch bei uns erst einmal als Beitrag zu einer inneren Blockadeauflösung begreifen. Dass sie verstehen, dass Zukunft auch mit ihnen zu tun hat. Manche, hoffentlich viele, wollen dann vielleicht einen Schritt weitergehen und Zukunft aktiv mitgestalten. Große Hoffnungen setzen wir dabei natürlich auch auf Kinder und Jugendliche, für die wir insbesondere im Futurium Lab ein umfangreiches Programm mit Workshops und Drop-in-Formaten entwickelt haben. Wir arbeiten wissenschaftsbasiert, versachlichen Debatten, gleichzeitig haben wir auch ein offenes Ohr für Phantasien und Utopien, die wir ins Verhältnis setzen zu den Fakten. Letztlich hoffe ich, dass wir Anstöße liefern können in Sachen Nachhaltigkeit. Aber eben nicht als Modewort, sondern in der Vermittlung darin, auf allen Ebenen verantwortungsvoll mit Ressourcen umzugehen. Das wird nach meiner Überzeugung ohnehin die entscheidende gesellschaftliche Frage der nächsten Jahrzehnte sein: Wie schaffen wir es, uns gemeinschaftlich auf eine nachhaltige Lebensweise umzustellen und dabei dennoch die individuellen Freiheiten zu wahren? Wie finden Nachhaltigkeit und liberale Demokratie zusammen? Das wird uns noch sehr lange und sehr intensiv beschäftigen.
Welche Zielgruppen möchten Sie ansprechen?
Brandt: Es gibt die riesige Zielgruppe „Alle“ – vom Knirps bis zur Seniorin, vom Laien bis zur Expertin. Zukunft geht wirklich alle an – und deshalb ist der Eintritt ins Futurium kostenfrei. Wir wünschen uns, dass möglichst jede*r zu uns kommt – ganz unabhängig von Alter, Herkunft oder Kontostand.
Wir wünschen uns, dass möglichst jede*r zu uns kommt – ganz unabhängig von Alter, Herkunft oder Kontostand.
Haben Sie eine Lieblingsecke / ein Lieblingsobjekt im Futurium, die / das kein Besucher verpassen sollte?
Brandt: Der Wünsche-Speicher gleich im Eingangsbereich ist ein tolles Exponat, um sich auf den Besuch einzustimmen und darüber nachzudenken, was man sich persönlich eigentlich für die Zukunft wünscht. Beeindruckend finde ich auch den Wirbel der „Großen Beschleunigung“ am Beginn der Ausstellung. Hier haben wir versucht, die vielen neuen Entwicklungen, die sich seit Beginn der Industrialisierung immer stärker potenziert haben, gestalterisch sichtbar zu machen. Aber auch unsere vielen Mitmach-Stationen sind spannend – unübersehbar sind natürlich die großen Schaukeln im Denkraum Mensch, die eine tolle Entschleunigungs-Übung bieten. Auch im Futurium Lab gibt es tolle Dinge zu sehen und auszuprobieren. Kontrovers diskutiert werden wird sicherlich eine künstlerische Installation in Form einer „Wahlkabine“, in der die Wahlentscheidung durch Gesichtserkennung und Künstliche Intelligenz (KI) scheinbar „vorhergesagt“ wird. Das wirkt zunächst wie eine ironische Spielerei – hinter der sich jedoch ernste Fragestellungen verbergen. Die in der Installation verwendete Technik ist bereits weiter verbreitet als viele denken. So wird in manchen Ländern inzwischen Gesichtserkennung eingesetzt, um Menschen flächendeckend zu überwachen. Die KI-„Wahlkabine“ ist somit letztlich ein Weckruf für mehr Selbstbestimmung im digitalen Raum.
Welches Thema liegt Ihnen persönlich für die Zukunft besonders am Herzen?
Brandt: Je länger ich über Zukunftsfragen nachdenke, desto klarer wird mir, dass man einzelne Zukunftsthemen nicht isoliert sehen kann. Das Beispiel Mobilität: Was nützt es mir, an einzelnen Stellschrauben der Technik zu drehen, wenn ich nicht weiß, wozu mir Mobilität eigentlich dienen soll? Welche Werte sind mir wichtig – immer nur „Höher-schnellerweiter“? Oder finde ich Erfüllung auch in anderen Kontexten? Das wird dann sicher auch mein Mobilitätsverhalten beeinflussen. Die heimliche Frage hinter der Mobilität oder auch der Digitalisierung oder dem Gesundheitssystem der Zukunft lautet doch: Welche Gesellschaft wollen wir? Wie wollen wir leben? Diese Frage treibt mich um: Wie schaffen wir es, die großen Zukunftsherausforderungen wirklich „systemisch“ anzugehen und über das mehr oder weniger planlose Herumdoktern an einzelnen Symptomen hinauszukommen? Es muss gelingen, ganzheitlichen Blick und gleichwohl sehr konkretes Handeln zusammenzubekommen. Hoffentlich kann das Futurium dazu beitragen, dass diese Vision Wirklichkeit wird.
Sie sind promovierter Musikwissenschaftler. Was glauben Sie, wie wird sich die Art, in der wir Musik machen, in Zukunft verändern?
Brandt: Ich glaube, die Art Musik zu machen, wie wir sie über Jahrhunderte praktiziert haben, wird es weiterhin geben. Als menschliches Wesen mit einem Instrument oder der Stimme direkt in Berührung zu treten – das wird immer das Nonplusultra sein. Es wird allerdings mehr Bereiche – etwa Filmmusik oder Werbejingles – geben, die zunehmend industrialisiert werden. Wenn ich eine KI habe, die Milliarden von Datensätzen aufnehmen, analysieren und etwas Neues daraus machen kann, dann wird diese KI Kompositionen schaffen können, die menschgemachten kaum nachstehen. Das ist in Ansätzen heute schon so. Hier werden uns noch große Debatten darüber bevorstehen, was menschliche Kreativität eigentlich ist und inwiefern sie sich von KI-Kreativität unterscheidet. Hilfreich kann KI auch sein bei der Analyse der Musik. Da könnten tausende von Kompositionen nach Mustern und Strukturen durchsucht werden, was dann möglicherweise wiederum Aufschluss über Inspirationsquellen der Komponist*innen gibt. Wie diese Analyseergebnisse dann freilich einzuordnen und zu interpretieren sind, bleibt weiterhin den Musikwissenschaftler*innen überlassen. Das bedeutet dann, über den rein deskriptiven Schritt der Mustererkennung hinauszugehen und sich immer wieder den eigenen Voraussetzungen bei der Reflexion bewusst zu werden. Zu wissen, was man nicht weiß, und die Subjektivität der eigenen Herangehensweise zu erkennen: Ich glaube nicht, dass dies auf absehbare Zeit eine Maschine leisten kann. Und das ist auch gut so!