Centro de Operaes Rio de Janeiro (COR)

Ursprünglich wurde das Centro de Operações Rio de Janeiro (COR) als Frühwarnsystem gegen Extremwetter für die Millionenstadt errichtet. Foto: Alexandre Rotenberg / Alamy

Denkraum Technik

Datenstädte

Viele Städte wollen die Digitalisierung für sich nutzen. Dafür arbeiten sie oftmals mit großen Technologieunternehmen zusammen und werden zu „Smart Cities“. Welche Vor- und Nachteile haben solche digitalisierten Städte?

Centro de Operaes Rio de Janeiro (COR)

Ursprünglich wurde das Centro de Operações Rio de Janeiro (COR) als Frühwarnsystem gegen Extremwetter für die Millionenstadt errichtet. Foto: Alexandre Rotenberg / Alamy

Am 5. April 2010 brach in Rio de Janeiro ein Unwetter los: Der Wind fegte durch die Straßen, in zwölf Stunden regnete es so viel wie sonst im ganzen Monat. 212 Menschen starben. Rund 3000 Feuerwehrleute und 4000 Angestellte der Stadtreinigung versuchten, die Katastrophe unter Kontrolle zu bekommen. Sie schafften es, erst nach mehreren Tagen. Ganz Rio de Janeiro stand danach unter Schock. Die Stadt schwor sich: Nie wieder wolle man von einem Unwetter überrascht werden. Man würde von nun an besser vorbereitet sein, schneller reagieren können.

Bürgermeister Eduardo Paes wandte sich an den Konzern IBM und bat um ein System, mit dem man die Widerstandsfähigkeit der Stadt gegen Extremwetter steigern könnte. So wurde das Centro de Operações Rio de Janeiro (COR) gegründet. In diesem Kontroll-Zentrum werden die Daten aller städtischen Infrastrukturen in Echtzeit sichtbar gemacht und analysiert. Ein sogenanntes Mapping-System erfasst verschiedenste Geo-Daten – zum Beispiel den Verlauf von Verkehrsströmen oder die Position von Stadtwächter*innen. So können im COR die Betriebsabläufe der städtischen Betriebe abgestimmt werden. Das COR kann im Katastrophenfall die Bürger*innen alarmieren und die zivile Sicherheit koordinieren.

Ein Vorbild für andere Städte

Mittlerweile ist das COR aus dem täglichen Leben der Stadt kaum noch wegzudenken. Es wird sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag betrieben, rund 400 Mitarbeiter*innen aus 32 Behörden und Betrieben tauschen sich über Kapazitäten und deren Verteilung aus. Sie können auf mehr als 800 Kameras, die in der gesamten Stadt verteilt sind, sehen, wo es zu Störfällen wie etwa einem Stromausfall kommt. Auch die Bürger*innen werden mit einbezogen: In die morgendliche TV-Sendung „Bom Dia Brazil" sind vierminütige Live-Schaltungen aus dem COR eingebettet, die über die neuesten Entwicklungen informieren. Auch mithilfe der sozialen Medien werden alle intensiv integriert – allein der Instagram-Account des COR hat fast 5000 Beiträge und beinahe 94.000 Follower, der Facebook-Account sogar beinahe 430.000 Abonnent*innen.

Kurz: Rio de Janeiro ist durch das COR zu einer digitalisierten Stadt geworden – und damit nicht allein. Da wäre beispielsweise Dublin: Die irische Hauptstadt sammelt in ihrem Gebiet ebenfalls viele Daten ein – mithilfe von Kameras und Sensoren, aber auch mit ständig aktualisierten Statistiken von Behörden wie Eurostat und dem Dublin City Council. Alle gesammelten Daten werden dann im sogenannten „Dublin Dashboard" gebündelt und ausgewertet.

"Dublin Dashboard" und New Songdo City

Das „Dublin Dashboard" ist ein wichtiges Instrument für die städtischen Behörden und die Verwaltung. Auch die Bürger*innen können jederzeit direkt online darauf zugreifen. Das Dashboard zeigt grafisch an, wie sich beispielsweise die Arbeitslosigkeit in Dublin entwickelt, wofür die Menschen hier ihr Geld ausgeben und welche Einkaufszentren gerade geöffnet haben. Ebenso wird gezeigt, welche Parkhäuser aktuell noch Plätze frei haben, wie viel Fahrtzeit man für bestimmte Strecken einrechnen muss – und wer will, kann sich das Ganze auch mittels Live-Cam direkt und in Echtzeit anschauen.

Noch weiter geht die südkoreanische Stadt New Songdo City: Sie liegt Nahe der Hauptstadt Seoul, wird seit 2003 komplett neu gebaut – und soll spätestens 2020 fertig und vollständig vernetzt sein. Die anvisierten rund 70.000 Einwohner*innen erhalten alle eine personalisierte Chipkarte, die als Bezahlungsmittel, für die Krankenversorgung und für den Zugang zu ihrer jeweiligen Wohnung genutzt wird. Sie können also alles damit erledigen.

Einkaufen können sie an Video-Kiosken oder direkt per Internet, auch untereinander kommunizieren sie viel online, etwa in speziellen Nachbarschaftsforen. Doch damit ist die Digitalisierung von New Songdo City noch längst nicht vorbei: Im ganzen Stadtgebiet sind überall Kameras, Chips und Sensoren angebracht. Sie sammeln Daten und senden diese dann an ein städtisches Kontrollzentrum, wo sie ausgewertet werden.

Mit ihnen kann die Verwaltung von New Songdo City dann wichtige Fragen für sich beantworten: Wo befinden sich die Bewohner*innen eines Hauses gerade, wo muss also gerade die Heizung aufgedreht werden? Welche Viertel sind menschenleer, so dass dort die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet werden kann? Und in welchem Haus wird eingebrochen, so dass die Polizei ein Einsatzteam hinschicken kann? Mit all diesen Möglichkeiten sollen Ressourcen und Energien geschont werden. Bis zu 30 Prozent weniger von ihnen verbraucht New Songdo City gegenüber nicht-digitalisierten Städten.

Wien, Barcelona, Boston: Alle wollen dabei sein

Viele weitere Großstädte wollen die neuen technischen Möglichkeiten nutzen – und tun es auch bereits, in unterschiedlichem Ausmaß:

Barcelona: Die Daten aus allen sogenannten Smart Services der Stadt werden in einem Netzwerk gesammelt. Zudem werden innovative Projekte in enger Zusammenarbeit mit den Bürger*innen gefördert.

Wien: In Aspern bei Wien entsteht ein komplett neues Quartier am Reißbrett, das besonders energieeffizient sein soll.

Boston: Der täglich aktualisierte Cityscore zeigt an, inwiefern die Stadt ihre Ziele erreicht. Der Wert wird errechnet mit Daten aus 24 verschiedenen Kategorien, von der Kriminalitätsrate bis WiFi-Verfügbarkeit.

Sie und viele andere hoffen darauf, dass sich städtische Abläufe leichter steuern lassen, Ressourcen besser und gezielter eingesetzt werden und die Grundversorgung verbessert wird. Sie wollen, kurz gesagt, mithilfe der Digitalisierung für ein nachhaltigeres und sichereres Leben sorgen.

Was passiert mit den Daten?

Doch funktioniert das wirklich so einfach? Während insbesondere die Stadtoberen vielerorts meist sehr enthusiastisch sind, können sich 57 Prozent aller deutschen Bürger*innen zwar vorstellen, in einer Stadt mit mehr digitalen Angeboten zu leben. Aber es gibt auch Zweifel: Es wäre möglich, dass die von der „Smart City“ gelieferten Daten zur Überwachung führen. Die Daten könnten womöglich gehackt werden. Was passiert mit Menschen, die nur wenige Technologien nutzen? Sind sie dann außen vor? Und es gibt noch mehr Bedenken.

Etwa: Vertraut man sich mit einer solchen Digitalisierung der Stadt nicht viel zu sehr den großen Technologieunternehmen an, die mehr auf ihre Gewinne als aufs Bürger*innenwohl bedacht sein dürften? Und lagert man damit städtische Aufgaben an private Konzerne aus? Adam Greenfield, ein bekannter Smart City-Kritiker, glaubt beispielsweise, dass Smart Cities allein ein Wunsch der großen Konzerne seien, anstatt dass einzelne Parteien oder Menschen, "die anerkannt sind für ihren Beitrag zur Stadtplanung" diese Idee gehabt hätten. All diese Bedenken sind tatsächlich nicht einfach so von der Hand zu weisen.

Mit Transparenz in die Zukunft

Auch in China werden Daten gesammelt – und genau diese gesammelten Daten werden dann in den Städten zur beinahe lückenlosen Überwachung der Bürger*innen genutzt – mit dem sogenannten „Sozialpunktesystem". Dabei wird genau registriert, was sie wann wie machen. Was kaufen sie wann und wo für wieviel Geld? Wie leben sie? Bezahlen sie ihre Rechnungen regelmäßig? Was schreiben sie in Onlineforen? Und äußern sie sich möglicherweise schlecht über die Regierung?

Für alles, was sie tun, bekommen sie dann Punkte zugeteilt; Menschen mit hohem Punktestand werden belohnt, solche mit niedrigem Punktestand bestraft. Sie können sich etwa keine Flugtickets mehr kaufen oder ihre Kinder nur noch zu bestimmten Schulen schicken. Sicherlich liegt es auch an solchen Restriktionen, die Bedenken schüren und die dafür sorgen, dass eine komplett am Reißbrett entworfene Smart City wie das koreanische New Songdo City von den Menschen bisher nur zögerlich angenommen wird.

All diesem müssen sich die Befürworter*innen und Planer*innen von „Smart Cities“ stellen: Sie müssen sich immer wieder selbst überprüfen. Und sie müssen genau erklären, wie sie arbeiten, was sie tun und nicht tun. Wenn die Vorgehensweise transparent gestaltet wird, könnte die wachsende Digitalisierung in Städten eine Möglichkeit sein, das urbane Leben nachhaltiger und sicherer zu gestalten.