Flugwindenergieanlagen (FWEA) sind nicht wie herkömmliche Windräder auf einem Turm montiert. Ihre fliegenden Komponenten wie Flügel oder Ballon bewegen sich in der Luft. Foto: Max Derata / TU Delft
Windkraft – was sie kann und wie sie funktioniert
Das Luftballett der Energie-Drachen
Windkraft gilt neben Solarenergie als Zugpferd der Energiewende. Flugwindenergieanlagen sollen die Branche künftig zum Fliegen bringen. Wie und warum, liest du hier.
Flugwindenergieanlagen (FWEA) sind nicht wie herkömmliche Windräder auf einem Turm montiert. Ihre fliegenden Komponenten wie Flügel oder Ballon bewegen sich in der Luft. Foto: Max Derata / TU Delft
Riesige Windturbinenblätter, die über Äckern oder dem Meer rotieren – darüber staunt künftig wohl niemand mehr. Aber was ist, wenn Windkraftanlagen zum Tanz in luftiger Höhe abheben? In Zukunft sollen fliegende Windkraftanlagen auf diese Weise unschlagbar günstigen Strom erzeugen. Und könnten laut Schätzungen von Optimist*innen bis zu 100 Mal mehr Strom und Wärme liefern, als wir heute brauchen. [1]
So funktioniert die Flugwindenergieanlage
Das Prinzip: Ob Lenkdrachen aus flexiblen Materialien, Flugzeuge mit Rotoren oder Windturbinen im Ballon - Flugwindenergieanlagen (FWEA) sind nicht wie herkömmliche Windräder auf einem Turm montiert. Ihre fliegenden Komponenten wie Flügel oder Ballon bewegen sich in der Luft. Über Halteseile bleiben sie in Kontakt mit der Bodenstation.
Die Stromerzeugung passiert bei den aktuellen Prototypen auf zwei Arten. Bei den meisten Modellen wird Strom in Pumpzyklen erzeugt: Zuerst wird das Fluggerät in schnellen Manövern automatisch quer zum Wind gesteuert. Durch den Wind zieht das Fluggerät an dem Seil, an dem es befestigt ist. Dabei dreht sich eine Seiltrommel, die am Boden befestigt ist, und es wird mehr Seil abgerollt. Die Seiltrommel ist mit einem Generator verbunden, der die Drehbewegung der Seiltrommel in elektrische Energie umwandelt. Das nennt man Zugphase. Haben Ballon oder Lenkdrachen eine bestimmte Höhe erreicht, wird das Fluggerät in den Wind manövriert. Das Seil wird anschließend eingerollt: Jetzt funktioniert die Trommel, die mit dem Generator verbunden ist, wie eine Winde. Beim Einrollen wird ein Teil der vorher erzeugten Energie verbraucht. Dafür wird ein Teil der Energie zwischengespeichert, zum Beispiel mithilfe von Schwungrädern oder mit wiederaufladbaren Batterien.
Bei anderen Anlagentypen erzeugen am Fluggerät befestigte, schnell drehende kleine Windturbinen Elektrizität in der Luft, die über das Seil anschließend zum Boden geleitet wird. In der Bodenstation wird die Energie ins Stromnetz eingespeist oder in Batterien gespeichert.
Flugwindenergieanlagen erzeugen Strom an unterschiedlichen Orten - am Boden (links) oder in der Luft (rechts).
Grafik: Polygraph Design
Was aber haben die neuen Technologien konventionellen Windturbinen voraus? Und welche Herausforderungen gibt es? Unser Pro-und-Kontra:
Fliegende Windkraft – was für die neuen Anlagen spricht
1. Turbo-Produzent: Flugwindenergieanlagen nutzen den Wind dort, wo er stärker und stabiler weht: in 300 bis 500 Meter Höhe. Zum Vergleich: Stehende Windturbinen für den Offshore-Betrieb ernten ihn in gut 200 Meter Höhe. Dadurch ist die Stromausbeute bei der fliegenden Windkraft dauerhaft größer.
2. Geldsparer: Energieexpert*innen schätzen, dass sich mit Flugwindkraft deutlich niedrigere Stromkosten als mit gewöhnlichen Windrädern realisieren lassen. Forscher*innen des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES) gehen in ihrer Studie (2013) sogar davon aus, dass die Flugwindenergie mit zwei bis vier Cent pro Kilowattstunde günstiger als alle anderen bekannten Energieerzeugungsvarianten sein wird.
3. Leise-Dreher: Konventionelle Windturbinen surren, werfen Schatten, sind unübersehbar. Kurz: Stören Anwohner*innen, die mit ihnen leben müssen. Flugwindenergieanlagen drehen in deutlich größerer Höhe ihre Runden. Und sind somit weniger zu hören – und fast unsichtbar.
4. Umwelt-Schoner: Flugwindenergieanlagen greifen weniger in Ökosysteme ein, weil zum Beispiel kleinere Fundamente benötigt werden. Zudem sind sie nicht so gefährlich für Vögel – und für Insekten, die laut einer aktuellen Studie (2019) des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) durch konventionelle Windkraftanlagen bedroht sind.
5. Ressourcen-Sparer: Bei der Herstellung wird nur etwa zehn Prozent der Materialmenge fällig, die bei stehenden Anlagen benötigt wird.[2] Denn die Entwickler setzen auf kleinere Rotorblätter, Turm und Basis der Windturbine fallen fast komplett weg und werden durch Halteseile ersetzt. Zudem lassen sich die Bauteile einfacher transportieren als die oft riesigen Turmsegmente, Flügel oder Maschinenhäuser herkömmlicher Windräder.
6. Allrounder: Flugwindenergieanlagen sind an vielen Orten einsetzbar, die sich nicht für konventionelle Windräder eignen. Auch in Katastrophengebieten könnten FWEA schnell für Strom und Wärme sorgen. So wie Kitepower, eine Ausgründung der Technischen Universität Delft, das seine Kraftwerke mit aufblasbaren, flexiblen Membranflügeln ausstattet – ideal für den mobilen Einsatz. Mehr liest du hier.
Was passieren muss, bevor diese neue Form Erneuerbarer-Energie-Kraftwerke flächendeckend abhebt
1. Absturzgefahr: Künftige Herausforderungen für die Forscher*innen und Entwickler*innen sind unterem anderem, Regelungssysteme und vollautomatische Steuerung zu verbessern, um die Zuverlässigkeit insbesondere bei stärkeren Winden zu erhöhen. Denn diese können im Normalbetrieb zu Überlastungen führen. Gefragt ist außerdem der perfekte Materialmix, der leicht ist, aber trotzdem den enormen Kräften in windiger Höhe und Vereisungen standhält.
2. Kollisionskurs: Bevor fliegende Windkraftanlagen an den Start gehen, müssten Flugverbotszonen über ihrem Standort eingerichtet werden, wie es sie bereits etwa für Kernkraftwerke gibt. Denn ab 100 Meter Höhe besteht Kollisionsgefahr mit Flugzeugen, Heißluftballons oder anderen Luftfahrzeugen.
3. Zukunftsmusik: Flugwindkraft ist derzeit noch eine Zukunftstechnologie. Kommerzielle Nutzung: momentan gleich Null. Expert*innen gehen davon aus, dass frühestens in fünf bis zehn Jahren eine massentaugliche Herstellung möglich ist. Doch auf lange Sicht könnte der Durchbruch gelingen. Derzeit tüfteln internationale Forschungsverbünde und Start-ups an der Entwicklung von Prototypen, die bereits in mehreren Ländern erprobt werden. Ein Vorzeigeprojekt ist die Airbone-Technologie des US-amerikanischen Unternehmens Makani. Im August 2019 starteten die 600-Kilowatt-Energiedrachen erstmals von einer schwimmenden Plattform in der Nordsee. Hier siehst Du mehr:
Quellen
[1] Archer, C. L., & Caldeira, K. (2009). Global assessment of high-altitude wind power. Energies, 2(2), 307–319. http://doi.org/10.3390/en20200307
[2] Blackman, C. (2009). High-altitude winds: The greatest source of concentrated energy on Earth. Abgerufen 25. Mai 2016, von http://news.stanford.edu/news/2009/june24/high-altitude-winds-062309.html