Foto: weerapat1003 – stock.adobe.com
Heuschrecken zum Anbeißen
Die Weltbevölkerung wächst – und mit ihr der Bedarf an hochwertigen Lebensmitteln. Insekten locken als gesunde, klimaneutrale Nahrungsquelle. In Europa ist die Skepsis jedoch groß.
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Schon mal einen Heuschrecken-Burger probiert? Während die meisten Europäer*innen bei dieser Frage vermutlich erstaunt oder angeekelt den Kopf schütteln würden, landen Insekten laut Schätzungen der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO bei rund zwei Milliarden Menschen weltweit auf dem Teller.[1] Ob als Grundnahrungsmittel oder Delikatesse: Wer zu Grillen-Sandwich oder Mehlwurm-Riegel greift, ernährt sich proteinreich. Denn Insekten sind eine hochwertige Nahrungsquelle mit hohen Eiweiß- und Fettgehalten und mit jeder Menge Mikronährstoffen wie Vitaminen und Spurenelementen.[2] Ein Nährwertvergleich zwischen Insekten und Fleisch zeigt: Viele Insekten wie Mehlwürmer können mit dem Fett- und Eiweißgehalt von Rind- oder Schweinefleisch mithalten – oder diese sogar übertreffen. Mehr über die Nährwerte von Insekten liest du hier.
Gut für Klima und Ressourcen
Was noch für die Sechsbeiner als Nahrungsmittel spricht: Ihre Zucht und die Verarbeitung zum Lebensmittel verbrauchen weniger Ressourcen als die herkömmliche Nutztierhaltung und schonen so das Klima. Ein wichtiger Vorteil, der angesichts des fortschreitenden Klimawandels künftig mehr denn je ins Gewicht fallen könnte. Nach Angaben der FAO stammen 14,5 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung, der größte Teil wird von Kühen für die Milch- und Fleischproduktion verursacht.[3]
Nicht nur durch die CO₂-Emissionen gefährdet die Fleischproduktion das Klima. Der Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC)[4] 2019 belegt: Zusätzlich belasten die wachsende Landnutzung und das Roden von Wäldern für den Anbau von Futtermitteln sowie der hohe Wasserverbrauch die Umwelt. Auch beim Thema Futtermittel punkten die kleinen Krabbeltierchen: Im Vergleich zum Rind kommen Insekten mit zehnmal weniger aus. 80 Prozent des Insekts wird verarbeitet – beim Rind sind es oft nur 40 Prozent.[5]
Seit den 1960er-Jahren hat sich die globale Fleischproduktion laut IPPC-Report pro Kopf mehr als verdoppelt. Höchste Zeit also zum Umdenken. Doch besonders Verbraucher*innen in westlichen Ländern tun sich schwer. Der kulturell verankerte Ekel sitzt tief. Eine Befragung[6] des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) fand heraus: Nur 14 Prozent der Verbraucher*innen in Deutschland haben schon einmal Insekten verzehrt. 40 Prozent der Befragten können sich vorstellen, Insekten zu essen.[7] Ein weiteres Ergebnis: Fast die Hälfte (46 Prozent) nennt die individuelle Ekelbarriere als Haupthürde für die Einführung von Insekten als Nahrungsmittel.
Was in Europa bei einigen Menschen Ekel hervorruft, ist in weiten Teilen der Welt ein selbstverständliches Nahrungsmittel. Zur Auswahl stehen dabei mehr als 2100 essbare Insektenarten– von Käfern über Heuschrecken bis zu Schaben.[8]
Hier siehst Du, welche Insekten weltweit am Liebsten gegessen werden.
Grafik: Polygraph Design
Novel Food Verordnung regelt die Zulassung
Spätestens seit die Europäische Union 2018 Insekten als potenzielles Lebensmittel in die Novel Food Verordnung aufgenommen hat, bekommt die ungewohnte Nahrungsquelle auch in Europa mehr und mehr Aufmerksamkeit. Die Verordnung regelt, ob sogenannte „neuartige Lebensmittel“ (Novel Foods) in der EU zugelassen werden.
Die Novel Food Verordnung besagt unter anderem: Jede Insektenart, die für den menschlichen Verzehr vorgesehen ist, muss gesundheitlich bewertet und von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen werden, bevor sie vermarktet werden darf. Mehrere Anträge auf Zulassung laufen – etwa für den Mehlwurm oder die Kurzflügelgrille (Alle laufenden Novel-Food-Anträge findest du hier). Noch ist keine Insektenart EU-weit zum Verzehr zugelassen. Trotzdem sind Lebensmittel aus Insekten bereits in einigen Ländern im Handel – beispielsweise seit 2015 in niederländischen Supermärkten und seit 2018 auch in Deutschland.[9] Für diese Produkte gilt eine Übergangsregelung.[10]
Cricket Powder – Grillen in Pulverform: Die Schweiz genehmigte 2017 den Verkauf von Insekten. Drei Arten gehen dort seitdem als Nahrungsmittel für Menschen über die Ladentheke: Mehlwurm, Grille und die Europäische Wanderheuschrecke, verarbeitet beispielsweise zu Würmermehl, Insekten-Burgern oder Grashüpfer-Steaks.
Schweiz als Vorreiter in der EU
Als erstes europäisches Land genehmigte die Schweiz 2017 den Verkauf von Insekten. Drei Arten gehen dort seitdem als Nahrungsmittel für Menschen über die Ladentheke: Mehlwurm, Grille und die Europäische Wanderheuschrecke, verarbeitet beispielsweise zu Würmermehl, Insekten-Burgern oder Grashüpfer-Steaks.[11] Auch in Belgien sind die neuen Eiweißbomben zugelassen. In einigen deutschen Supermärkten und Restaurants gibt es sie in verarbeiteter Form – als Insektennudeln oder Pulver Snack-Beimischung.[12] Die essbaren Insekten kommen in der Regel aus professionellen Zuchtfarmen in den Niederlanden und in Frankreich.
Dr. Mark Lohmann vom Bundesinstitut für Risikobewertung prognostiziert, dass es Mehlwurm und Co. in Deutschland auch in Zukunft vor allem in verarbeiteter Form in den Handel schaffen werden. Im Deutschlandfunk sagte der Leiter der Fachgruppe Risikoforschung, -wahrnehmung, -früherkennung und -folgenabschätzung: „Liegen die Insekten aber verarbeitet vor, das heißt erkennt man gar nicht mehr die Fühlerchen, die Beinchen, dann reduziert sich auch die Ekel-Barriere und die Akzeptanz wird sicherlich ansteigen.“[13]
Verzehr ohne Risiken?
Doch ob sich Insekten in westlichen Ländern tatsächlich als Lebensmittel für den Menschen durchsetzen werden, ist offen. Einige Fragen sind noch zu klären. Zum Beispiel die Frage nach den Risiken, die mit dem Verzehr von Insekten verbunden sein könnten. Wie lässt sich beispielsweise das Infektionsrisiko durch Keime im Magen-Darm-Trakt der Tiere verringern? Oder welche Allergien könnte ihr Verzehr auslösen? Mehr zu den Risiken liest du hier.
Und nicht zuletzt bleibt die Frage, wie die für Europäer*innen neue Nahrungsquelle auf lange Sicht so ressourcen- und umweltschonend wie möglich genutzt werden kann. Denn auch sie ist nicht unerschöpflich. Klimawandel, Wildfang, Überfischung, Umweltverschmutzung, Waldbrände und der Klimawandel bringen Insektenpopulationen in Gefahr.[14]
Neue Lösungen sind gefragt, um Insekten nachhaltig zu züchten, zu verarbeiten und zu produzieren. Als Eiweiß-Lieferanten für Tierfutter sind sie in Europa bereits im Kommen. Im niederländischen Bergen op Zoom nahm 2018 eine der modernsten Insektenfarmen Europas ihren Betrieb auf: Pflanzliche Nahrungsmittelreste dienen dort als Nahrung für Insekten, die zu Tierfutter verarbeitet werden.[15] Bleibt abzuwarten, ob die Krabbeltierchen künftig auch in großem Stil auf europäischen Tellern landen werden.
Ein Beispiel, wie Du zu Hause Insekten züchten kannst, siehst du hier:
Quellen und Literatur
[1] http://www.fao.org/3/i3264g/i3264g.pdf
[2] https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/gremien/senat/lebensmittel/artikel_nahrungsmittel_insekten.pdf
[3] http://www.fao.org/news/story/en/item/197623/icode/
[4] https://www.ipcc.ch/reports/
[5] https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/17064-rtkl-neue-proteinquelle-der-schweiz-gibt-es-nun-burger-aus-insekten
[6] https://mobil.bfr.bund.de/cm/350/insekten-als-lebens-und-futtermittel.pdf
[7] Basis: In Prozent aller Befragten, die noch nie Insekten gegessen haben, n=861, https://mobil.bfr.bund.de/cm/350/insekten-als-lebens-und-futtermittel.pdf
[8] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/massentierhaltung_fleischatlas_2018.pdf
[9] https://www.deutschlandfunk.de/insekten-als-lebensmittel-im-landeanflug-auf-den-eu-markt.676.de.html?dram:article_id=414740; https://www.deutschlandfunkkultur.de/grillen-und-wuermer-als-lebensmittel-insekten-burger-aus.976.de.html?dram:article_id=425424
[10] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/20190313-insekten-lebensmittel-eu-zulassung-zugelassen-oder-nicht-interview
[11] https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/17064-rtkl-neue-proteinquelle-der-schweiz-gibt-es-nun-burger-aus-insekten
[12] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/20190313-insekten-lebensmittel-eu-zulassung-zugelassen-oder-nicht-interview
[13] https://www.deutschlandfunk.de/insekten-als-lebensmittel-im-landeanflug-auf-den-eu-markt.676.de.html?dram:article_id=414740
[14] http://www.fao.org/3/i3253e/i3253e.pdf
[15] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/wirtschaft_nt/article195049379/Niederlande-erwarten-Boom-bei-Insekten-Produktion.html