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Dr Clara Brandi. Foto: headshots.de

Interview mit Dr. Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik

„Globalisierung kann nachhaltiger gestaltet werden“

Besser als sein Ruf? Globaler Handel auf dem Prüfstand. Ein Interview vom Februar 2020 mit Dr. Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik über die Mechanismen der Globalisierung und was wir in Zukunft besser machen können.

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Dr Clara Brandi. Foto: headshots.de

Kleidung aus Asien, Früchte aus Südamerika – das sind viel zitierte Beispiele für weitgereiste Handelswaren. Wie globalisiert ist unser Alltag tatsächlich?

Clara Brandi: Trotz aktueller politischer Trends ist die Globalisierung ungebrochen. Nach Angaben des World Trade Statistical Review 2019 nahm der Warenhandel zwischen 2010 und 2018 beispielsweise um mehr als 26 Prozent zu. Dabei ist ein großer Teil des Austauschs von Gütern auf die drei größten Handelspartner eines Landes beschränkt und diese sind oft Nachbarländer. In Deutschland spielt der internationale Handel für die Wirtschaft eine sehr große Rolle. Fast jeder vierte Arbeitsplatz hängt vom Export ab. Beim vielzitierten „Exportweltmeister“ verhält es sich jedoch etwas anders: Deutschlands größte Handelspartner beschränken sich nicht ausschließlich auf Nachbarländer. Die drei wichtigsten wirtschaftlichen Partner, im Sinne des Umsatzes in Exporten und Importen, sind derzeit China, die Niederlande und USA. Ansätze wie „Our Nation first“ gefährden die Globalisierung und untergraben aktuell die Kooperation zu globaler Handelspolitik, zum Beispiel im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Darunter leiden am meisten kleinere Entwicklungsländer, die besonders stark auf ein regelbasiertes globales Handelssystem angewiesen sind, das sie vor der Macht der Stärkeren schützt.

Die Globalisierung der Wirtschaft stand lange für Wachstum und Prosperität, in den vergangenen Jahren mehrte sich die Kritik an ihr. Wann und warum hat sich der Blick auf den globalen Handel verändert?

Brandi: Diese Veränderung begründet sich mitunter darin, dass zum einen Handelsregeln immer weiter in sensible nationale Politikbereiche vordringen. Neuere Handelsregeln gehen häufig weit über den Abbau von Zöllen hinaus und betreffen auch Themen wie Verbraucher- und Umweltschutz. In den TTIP-Verhandlungen war eine große Angst der Europäer*innen, dass sich die Verhandler*innen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der US- und EU-Standards einigen und so Verbraucher*innen- und Umweltschutz geschwächt werden. Zum anderen: Nicht alle Menschen profitieren vom Freihandel. Innerhalb von Volkswirtschaften führt mehr Handel zu mehr Einkommen, aber auch zu mehr Ungleichheit. Freihandel verändert die Wirtschaftsstruktur: Wenn sich Länder in der internationalen Arbeitsteilung spezialisieren, werden die Sektoren größer, in denen günstigere Produktionsfaktoren geltend gemacht werden können. Umgekehrt bedeutet das: Arbeitsplätze gehen dort verloren, wo Produktionsschritte günstiger im Ausland durchgeführt werden können – ein Beispiel ist das Zusammenbauen des iPhones in China. Die effizientere Arbeitsteilung bringt also Gewinner und Verlierer hervor. Diesen Verteilungsfragen wurde in der Politik lange zu wenig Beachtung geschenkt.

Wer profitiert wie von der Globalisierung des Handels? Welche Vorzüge gehen mit ihr einher?

Brandi: Nicht zuletzt profitieren Konsument*innen von der Globalisierung des Handels. Eine effizientere globale Arbeitsteilung sorgt für niedrigere Preise, die allen Verbraucher*innen zu Gute kommen. Neuere Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die armen Bevölkerungsschichten aufgrund eines unterschiedlichen Konsumverhaltens weniger vom Freihandel profitiert haben als die reichen. Die Preise von Gütern wie PCs, die vornehmlich von reicheren Bevölkerungsschichten konsumiert werden, sind stärker gefallen als zum Beispiel von Agrarprodukten, für die die ärmere Bevölkerung einen großen Anteil ihres Einkommens aufwendet. Auch wenn es Gewinner und Verlierer gibt, unterm Strich gilt: Der Wohlfahrtsgewinn durch Freihandel ist groß genug, dass die Gewinner die Verlierer, beispielsweise durch Umverteilung über Steuerpolitik, kompensieren könnten. In Zukunft sollten den unterschiedlichen Auswirkungen des Freihandels besser Rechnung getragen und angemessene Politikmaßnahmen diskutiert werden, zum Beispiel auf Basis von Steuerpolitik, aber auch Umwelt- und Sozialstandards. Neue empirische Analysen untermauern zudem: Globalisierter Handel führt zu mehr Konvergenz, also weniger Ungleichheit zwischen den Ländern. Die verstärkte globale Aufgliederung der Produktion unterstreicht, dass es wichtig ist, Handelsbarrieren abzubauen. Um in globalen Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig zu sein, müssen auch importierte Zwischengüter kostengünstig verfügbar sein, beispielsweise Einzelteile eines iPhones – eine klare Absage an Importzölle und den Schutz heimischer Industrien. Tatsächlich bieten globale Wertschöpfungsketten gerade für Entwicklungsländer große Chancen: Durch die Verwendung ausländischer Zwischenprodukte können sie die Teile des Produktionsprozesses übernehmen, die sie am besten her- oder bereitstellen können – ohne selbst eine ganze Industrie aufbauen zu müssen.

Als nachhaltiger werden regionale Wirtschaftsmodelle ins Feld geführt. Können wir das Rad der Globalisierung denn wieder ein Stück zurückdrehen – für wie realistisch halten Sie das?

Brandi: Die Weltwirtschaft muss nachhaltiger werden. Das ist auch ein wichtiges Ziel im Rahmen der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der 2030 Agenda, auf die sich die Weltgemeinschaft verständigt hat. Ein wichtiger Ansatzpunkt für eine nachhaltigere Weltwirtschaft ist beispielsweise eine möglichst starke Entkoppelung des globalen Wirtschaftswachstums von Rohstoffverbrauch, ökologischer Zerstörung und klimaschädlichen Emissionen. Auch Transporte rund um den Globus sind natürlich eine Herausforderung für mehr Nachhaltigkeit. Auf der anderen Seite ist es kaum eine gute Idee, das Rad der Globalisierung wieder ein Stück zurückdrehen. Deglobalisierung wäre ineffizient. Zu betonen ist: Der weltweite Warenhandel konzentriert sich relativ stark auf bestehende Wirtschaftsblöcke, das heißt, er ist trotz globaler Warenströme auch erheblich regional geprägt. Der intraregionale Warenexport liegt insgesamt bei mehr als 50 Prozent. Doch es gibt deutliche Unterschiede, der Anteil des intraregionalen Handels variiert erkennbar von Region zu Region. Afrika beispielsweise bildet eine Ausnahme: Hier spielt der Anteil des regionalen Handels noch eine sehr geringe Rolle. Das soll sich nun ändern. Die im Jahr 2019 gegründete afrikanische Freihandelszone zielt darauf, den intraregionalen Handel zu stärken. Schließlich gibt es hier noch viele Potenziale zu heben. Dafür ist aber nicht nur der Abbau von Handelshemmnissen nötig, sondern auch der Aufbau von handelsrelevanter Infrastruktur, zum Beispiel Straßen und Häfen.

Welche Rolle spielen die einzelnen Menschen? Haben wir als mündige Konsument*innen mehr Spielraum und Mitgestaltungsmöglichkeiten, als wir denken?

Brandi: Die Konsument*innen spielen eine wichtige Rolle. Ihre Kaufentscheidungen können dazu beitragen, die Globalisierung nachhaltiger zu gestalten. Es gibt viele freiwillige Standards für nachhaltigere Produktion, darunter Fairtrade oder MSC. Doch die Nachfrage nach nachhaltig zertifizierten Produkten ist immer noch relativ gering. Der Marktanteil fair gehandelten Kaffees wächst in Deutschland stetig, liegt jedoch immer noch bei unter fünf Prozent. Hier haben Konsument*innen Mitgestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig sollten solche Ansätze nicht die politischen Entscheidungsträger*innen davon entbinden, durch staatliche Maßnahmen die Globalisierung nachhaltiger zu gestalten.